In jeder Firma wird erwartet, dass ich den Anweisungen des Chefs folge. Sein Wort hat Autorität, schließlich trägt er die Verantwortung. – So weit die gängige Meinung.
In Wirklichkeit sind die Dinge etwas komplizierter. Denn bloß, weil ich mich der Hierarchie unterordnen muss, heißt das ja noch lange nicht, dass ich die Autorität eines Vorgesetzten anerkenne.
Hinzu kommt, dass es offizielle und inoffizielle Strukturen gibt. Oft sagen die letzteren mehr über die tatsächlichen Machtverhältnisse aus, als das die veröffentlichten tun.
Mich bringt das zu einer wichtigen Frage. Warum entschließt sich jemand, eine Führungskraft anzuerkennen?
- Liegt es daran, dass die betreffende Person die Rolle der Vorgesetzten, also Team- oder Abteilungsleiterin innehat? In diesem Fall würde meine Anerkennung aufgrund der Position der Vorgesetzten erwartet.
- Verfügt sie darüber hinaus über ausgewiesene Fachkompetenz in ihrem Verantwortungsbereich?
- Hat sie sich außerdem im Tagesgeschäft als besonders fähig erwiesen? Sich als Problemlöserin profiliert und damit die Anerkennung der anderen gewonnen.
Sie merken, dass es unterschiedliche Gründe dafür gibt, einem oder einer Vorgesetzten zu folgen. Der Führungsanspruch kann auf der Rolle basieren, der Fachkenntnis und der Erfahrung im täglichen Miteinander.
Heute möchte ich mich zwei besonderen Aspekten widmen. Doch bevor ich dazu komme, muss ich noch etwas anderes ansprechen:
Es gibt Personen, denen ich freiwillig folge und anderen, die einfach nur höher in der Unternehmenshierarchie stehen und mir deshalb etwas zu sagen haben.
Das im Geschäftsleben übliche Wort „Vorgesetzter“ beschreibt treffend, worum es geht: Jemand wird mir vorgesetzt. Damit einher geht die Erwartung, dass ich mich nach dessen Weisungen richte. – Aber so einfach ist das nicht.
Deshalb noch einmal die Frage: Warum entschließe ich mich dazu, einer Führungskraft zu folgen?
Ich glaube, dass die Antwort im Tätigkeitswort entschließen zu finden ist. Denn in Wahrheit entschließe ich mich tatsächlich, jemandem zu folgen oder mich unterzuordnen. Es ist in den meisten Fällen eine freiwillige Entscheidung.
Ich vertrete die Ansicht, dass einer Führungskraft, die ihr Geld wert ist, Menschen zuarbeiten, die sich bewusst und aus freien Stücken – also freiwillig – dazu entschlossen haben. Sie tun das, weil sie sich von bestimmten Dingen angezogen fühlen.
Damit meine ich nicht Eigenschaften wie visionär, strategisch und problemlösend oder mitfühlend, belastbar und großzügig. Es geht mir um etwas anderes, nämlich um zwei Wesensmerkmale, die für Menschen attraktiv sind.
1. Weisheit, die aus der Erfahrung schöpft.
In meinem Verständnis ist Weisheit reflektierte Lebenserfahrung. Das bedeutet, dass sie mir nicht einfach zufällt. Ich kann sie auch nicht nebenbei irgendwo „mitnehmen“ oder mir aneignen.
Will ich Weisheit erwerben, dann kostet mich das etwas. Und zwar Tempo und Anstrengung. Weisheit ist wie ein Bausparvertrag, auf den ich lange und beständig einzahle. Über die Zeit entsteht ein Kapitalstock, mit dem ich arbeiten kann.
Weisheit wächst dort, wo ich mich mit Problemen und Schwierigkeiten auseinandersetze und an Lösungen arbeite. Im prallen Leben mit all seinen Herausforderungen kann die Weisheit ihre Wurzeln schlagen und Früchte tragen.
Allerdings muss ich bereit sein, mein Lebenstempo zu drosseln und mich absichtlich den Herausforderungen des Lebens zu zuwenden. Weisheit entsteht nicht ohne Disziplin und die Bereitschaft, in Ruhe nachzudenken und abzuwarten, während ich weiter führe.
Aber überall dort, wo sie bei Menschen entdeckt wird, wirkt Weisheit anziehend. Besonders gilt das für solche, die Verantwortung tragen.
So wichtig Position, Fachkompetenz und Erfahrung sein mögen, Weisheit ist bei weitem bedeutsamer. Eine weise Führungskraft versteht ihre eigene Situation und die damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten. Sie kennt die Grenzen ihrer Sachkompetenz und weiß den Wert der Erfahrung richtig einzuschätzen. Dementsprechend wird eine mit Weisheit gesegnete Person beispielsweise wissen, wann sie fordern kann und wann sie selbst mit anpacken muss.
Das führt mich zu einem zweiten Punkt:
2. Demut als Teil der eigenen Natur und nicht als etwas, das ich praktiziere.
Ich bin davon überzeugt, dass Stolz Weisheit zerstört. In gleicher Weise ist Demut ihr Beschützer.
Demut ist keine Fertigkeit, sondern eine Herzenshaltung. Sie ist eine Lebensweise, eine Tugend, die ich mir zu eigen mache.
Man kann es auch so sehen, dass Demut eher darauf beruht, dass ich mich nicht aufgrund dessen, was ich habe oder aufgrund meines Status oder meiner Macht überlegen oder besser als andere fühle, und dass es auch nicht darum geht, sich anderen gegenüber unterlegen zu fühlen.
Demütige Führungskräfte leben mehr für andere als für sich selbst.
Übrigens, demütig sein bedeutet nicht unsicher sein. Verwechseln Sie diese beiden Begriffe nicht. Demut ist eine attraktive Tugend, Unsicherheit ist es nicht. Demut ist direkt mit Stärke verbunden, während Unsicherheit mit Angst und meiner Schwäche zusammenhängt.
Das bedeutet nicht, dass ich als demütige Führungskraft nie mit Unsicherheiten zu kämpfen habe, aber ich erkenne, dass Demut auf Stärke und nicht auf Schwäche beruht.
Wer gelernt hat, demütig zu sein, der ist in der Lage, selbstlos andere ins Rampenlicht zu stellen. Der oder die kann den Erfolg der Kollegen aufrichtig feiern.
Wer würde nicht gerne für eine solche Führungskraft arbeiten?
Fazit
Manchmal sind es die unauffälligen Qualitäten, die eine besonders anziehende Wirkung auf Menschen entfalten. Glauben Sie mir, Weisheit und Demut verfügen über ihre eignen Strahlkräfte. Und sie sind sehr wirkmächtig.
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