Neulich habe ich mir nach der Arbeit ein paar Schritte in der Natur gegönnt. Um Abstand vom Tagesgeschäft zu gewinnen, habe ich mir einen Podcast angehört.
In einem Beitrag zur Podcast-Reihe „Der achte Tag“ hat Managementberater Reinhard K. Sprenger über Führung in und nach der Corona-Krise nachgedacht. Hängen geblieben ist bei mir ein Satz. Sprenger zitiert einen amerikanischen General H. Norman Schwarzkopf: „Führung ist eine kraftvolle Mischung aus Strategie und Vertrauen. Aber wenn du ohne eines von beiden auskommen musst, verzichte auf die Strategie.“[1]
Ui, dachte ich mir, und das von einem Mann, der im 2. Irakkrieg die amerikanischen Truppen befehligt hat! Waren es nicht seine ausgeklügelte Strategie und die schiere Wucht seiner militärischen Aktionen, die den Krieg gegen Saddam Hussein damals entschieden haben? Sollte man o. g. Zitat nicht besser der Kategorie Sonntagsreden zuordnen?
Sprengers Zitat hat mich nicht losgelassen. Also habe ich den restlichen Spaziergang lang ein paar Situationen Revue passieren lassen, in denen es um Vertrauen und Strategie ging.
Vertrauen und Strategie – ein Widerspruch?
Ich denke, dass es wichtig ist, zunächst einmal festzuhalten, dass sich beides, Vertrauen und Strategie, nicht ausschließen. Sie gehören zusammen.
Norman Schwarzkopf beschreibt Führung als eine kraftvolle Mischung aus beidem. Eine Mischung, die motiviert und die die Bereitschaft wachsen lässt, eigene Bedenken zur Seite zu legen und sich ganz hinter eine Sache zu stellen. Ich habe das oft erlebt.
Aber, da ist ja noch der zweite Teil von Schwarzkopfs Zitat.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel berichten, wie die oben beschriebene kraftvolle Mischung in den letzten Tagen bei mir gewirkt hat und wie anschließend mein Vertrauen auf grundlegende Weise erschüttert wurde.
Das darf doch wohl nicht wahr sein!
Mit großem Interesse und zunehmend beeindruckt habe ich das Krisenmanagement der Politik in den zurückliegenden Monaten verfolgt. Der tägliche Blick auf die Statistiken der Johns Hopkins University überzeugte mich davon, dass die getroffenen Maßnahmen zwar schmerzhaft waren, ihre Wirkung jedoch nicht verfehlten. Anders als jenseits des Atlantiks wurde hierzulande beherzt, konsequent und mit Augenmaß agiert. Die Folge: Ich gewann Vertrauen in die Strategie des sogenannten Lockdowns, denn die Ansteckungszahlen gingen deutlich zurück. Die hastig aufgebauten Intensivkapazitäten wurden nicht benötigt.
Dieses Vertrauen wurde am 16. Mai nachhaltig erschüttert.
Ich erhielt einen Brief vom Gesundheitsamt, der mich mit kraftvollen Worten davon in Kenntnis setzte, dass ich mich in strikte Quarantäne zu begeben hätte.
Nun fragen Sie sich, was an dieser Verordnung so problematisch gewesen ist. Ganz einfach. Sie enthielt lauter Fehler.
1. Die Verordnung bezog sich beispielsweise auf ein Telefonat, das es nie gegeben hatte.
2. Dann wurde ich nicht mit meinem Namen Wolf-Dieter Kretschmer, sondern als Herr Dieter Wolf angeschrieben.
3. Das Schreiben erreichte mich drei Tage nach Ende der verordneten Quarantäne. – Mehr noch, es war zwei Tage nach Ablauf der Quarantäne verfasst worden.
Nun geht es mir hier nicht darum, das offensichtlich überforderte Krisenmanagement einer lokalen Behörde anzuprangern. Es geht um Vertrauen.
Einerseits hatte ich zum Staat Vertrauen gefasst. Andererseits, als mich die Auswirkungen der Krise persönlich trafen, wurde das Vertrauen in eben diesen Staat erschüttert.
Der qualitative Unterschied
Strategisches Denken hat m. E. viel mit Begabung zu tun. Es beschreibt die Fähigkeit, abstrakt, nüchtern und vorausschauend denken zu können. Der Stratege vermag dem Visionär die fehlende Brücke zwischen der Gegenwart und der gewünschten Zukunft zu bauen. Schon deswegen ist sein Beitrag wichtig.
Vertrauen hingegen hat mit viel Erfahrung einerseits und Charaktereigenschaften andererseits zu tun. Vertrauen setzt eine intakte Beziehung auf beiden Seiten voraus. Es muss erworben und kann nicht angeordnet werden. Vertrauen ist zudem ein flüchtiges Gut. Es ähnelt einem Bankkonto: Ich muss einzahlen, bevor ich abheben kann.
Ich denke, wir sind uns einig: Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Infolgedessen wird Vertrauen belastet, ja, sogar zerstört.
Lässt sich zerstörtes Vertrauen heilen?
Wo etwas kaputt ist, stellt sich die Frage, ob es sich wieder reparieren lässt. Das Schöne ist, dass es möglich ist, Vertrauen wieder herzustellen, vorausgesetzt, beide Seite haben ein Interesse daran.
Nach meinem Dafürhalten ist eine bestimmte innere Haltung nötig, die ich „Gutvermutung“ nenne. Sie besagt, dass auch dann, wenn Fehler passiert sind, die für mich nachteilig sind, ich bewusst daran festhalte, dass mein Gegenüber es gut gemeint hat.
Wenn man selber ein Vertrauensverhältnis belastet oder gar zerstört hat, ist es hilfreich, sich vor Augen zu halten, dass Vertrauen auch mit Charaktereigenschaften zu tun hat. Demut, Offenheit und ein langer Atem sind erforderlich, um verlorenes Terrain wieder zurückzugewinnen. Die Frage stellt sich, ob ich dazu bereit bin.
Zum Schluss habe ich ein paar Fragen
Sollten Sie das Gefühl nicht loswerden, dass man Ihnen in Ihrem Verantwortungsbereich wenig Vertrauen entgegenbringt, wie wäre es, wenn Sie sich eine selbstkritische Bestandsaufnahme gönnen?
Warum bringt man mir wenig Vertrauen entgegen?
Wie könnte ich herausfinden, warum jene, bei denen ich wenig oder kein Vertrauen vermute, so denken? Wie kann ich dafür sorgen, dass Menschen bereit werden, sich zu öffnen?
Was könnte ich dauerhaft tun, um die Voraussetzungen für erneutes Vertrauen zu schaffen?
[1] https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-8349-9120-1_8
Bildquellen
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