Kurz & knapp: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, sagt jemand und lehnt jedwedes Risiko ab. Andere wägen sorgsam ab, bevor sie aktiv werden. Wieder andere verhalten sich spontan und unvernünftig.
Die Katastrophe vom Segnespass
Vor ein paar Jahren ist ein schlimmes Unglück in den schweizerischen Alpen passiert. Eines der wenigen noch flugtauglichen JU-52 Passagierflugzeugen stürzte am 4. August 2018 bei einem Flug von Locarno nach Dübendorf ab.
Die Maschine wurde von erfahrenen Piloten gesteuert. Das Wetter war exzellent, die Bedingungen für einen schönen Alpenüberflug gegeben. Außerdem befand sich die Maschine in einem guten technischen Zustand. Warum also der Absturz?
Die Katastrophe nahm ihren Lauf, weil die beiden Piloten Risiken eingingen, die sie – in Folge einer Verkettung plötzlich auftretender ungünstiger Umstände – nicht mehr zu beherrschen vermochten.
Die Kombination aus geringer Flughöhe über Grund, langsamer Geschwindigkeit, dem schnellen Wechsel von Ab- und Aufwinden und einem Strömungsabriss an den Tragflächen führte zum Tod von 17 Fluggästen und 3 Besatzungsmitgliedern.
Es war nicht das erste spektakuläre Flugmanöver gewesen. Wie man heute weiß, hatten sich die beiden Piloten in der Vergangenheit mehrfach ähnlich riskant verhalten.
Eine Tonne Stahl fährt geradeaus
Ich habe als Jugendlicher Bekanntschaft mit dem Gesetz der Massenträgheit gemacht. Spurrillen, wenig Reifenprofil und ein Regenschauer führten in meinem Fall zu dem allseits gefürchteten Aquaplaning. Obwohl ich relativ langsam fuhr, verlor ich 19-Jähriger die Kontrolle über meinen Wagen und prallte auf ein stehendes Objekt. Menschen kamen dankenswerterweise nicht zu Schaden.
Auch ich hatte Gesetze der Physik nicht beachtet und die Folgen am eigenen Leib erfahren müssen. – Und – ja, Sicherheitsgurte retten tatsächlich Leben!
Der Unterschied?
Als Fahranfänger fehlte mir in der aktuellen Situation der Überblick. Das theoretische Wissen hatte ich mir angeeignet. Aus der Fahrschule kannte ich die Gefahr von Spurrillen und regennasser Fahrbahn. Leider reichte mein Wissen in der konkreten Situation nicht aus, um mich entsprechend vorsichtig zu verhalten. – Typischer Anfängerfehler, möchte man meinen.
Dagegen hatten die beiden erfahrenen Piloten sehr wohl gewusst, was sie taten. Sie hatten ihr Glück herausgefordert und als es dann zu spät gewesen war, ihr Zocken mit ihrem Leben bezahlt.
Warum Menschen hohe Risiken eingehen
Es gibt verschiedene Gründe, Risiken einzugehen. Einige davon möchte ich hier ansprechen:
Der fehlende Überblick oder Unkenntnis
Manche Risiken werden eingegangen, weil man die damit verbundenen Gefahren nicht überblickt. Mein Verkehrsunfall als Jugendlicher fällt in diese Kategorie.
Dieses Prinzip lässt sich auf viele Bereiche des täglichen Lebens übertragen. Es trifft für den sorglosen Umgang mit Tabletten ebenso zu wie fürs uninformierte Spekulieren mit Aktientiteln oder das Fahren mit abgenutztem Reifenprofil. Menschen überschauen nicht die potenziellen Gefahren ihres Handelns und das kann ordentlich schiefgehen.
Das vermeintlich berechenbare Risiko
In diese Kategorie fällt der Absturz der JU-52. Man war bis an die Grenzen dessen gegangen, was man für beherrschbar hielt. Als dann plötzlich unerwartete Faktoren Einfluss nahmen (der schnelle Wechsel von Ab- zu Aufwinden), hatten die Piloten keine Chance mehr, das Flugzeug sicher aus der Gefahrenlage zu manövrieren.
Damit Menschen sich auf vermeintlich berechenbare Risiken einlassen, sind in der Regel mehrere Faktoren nötig. Dazu gehören
1. ein ordentlicher Nervenkitzel
2. der Wunsch, Außerordentliches zu leisten
3. die offene Bewunderung anderer für den gezeigten Mut
4. die Überschätzung der eigenen Möglichkeiten oder Erfahrungen
5. oder die offensichtliche Fehleinschätzung der Gesamtsituation.
Der Kick des Abenteuers
Der österreichische Extremsportler Felix Baumgartner hält allerhand Rekorde. Darunter auch den höchsten Fallschirmsprung (aus 38,9 km Höhe) und die größte ohne Motor erzeugte Fluggeschwindigkeit (1.357 km/h im freien Fall). Baumgartner ist in meinen Augen ein Abenteurer, der sich bewusst in Grenzsituationen bringt, um sich selbst und der Welt zu beweisen, was menschlich möglich ist.
Auf weniger spektakulärem Niveau sehe ich Bungee-Springen oder das sogenannte Freeclimbing. Auch hier ist der Kick des Abenteuers ausschlaggebend dafür, dass Menschen etwas riskieren.
Der Blogger Markus Cerenak schreibt: „Alle, die Risiken eingehen, haben eins gemeinsam. Sie suchen ein Gefühl, dass durch bestimmte Hormone ausgelöst wird.
Typische Hormone, die zur Lust am Risiko führen, weil sie durch das Spiel mit ebenjenem ausgeschüttet werden, sind die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin sowie der Botenstoff Dopamin. Während die beiden Adrenalinhormone dafür sorgen, dass der Körper in Alarmbereitschaft gerät, erzeugt Dopamin das Gefühl von Freude und Glück in uns. Beides zusammen bringt den ultimativen Kick.“
Vor allem junge Männer verfallen dem Kick des Abenteuers, schreibt Stefanie Uhrig in Psychologie heute (November 2019), der als „Sensation Seeking“ durch die Forschungsarbeiten von Marvin Zuckerman bekannt geworden ist.
Dummheit
Es gibt aber auch eine Risikobereitschaft, die nur als Dummheit bezeichnet werden kann. Bei dichtem Nebel mit hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn rasen oder an einem Spielautomaten um Geld zu zocken, gehören in diese Kategorie.
Menschen tun etwas, was mit vernünftigem Verhalten nicht zu erklären ist, wohl aber mit Suchtverhalten oder Tunnelblick.
Oder aber sie folgen einem Auftrag, wie das beispielsweise in der Bibel berichtet wird. Mitten in einer stürmischen Nacht klettert der Fischer Petrus aus seinem Boot und läuft auf dem Wasser des Sees Genezareth seinem Meister entgegen. Nachzulesen im Matthäus-Evangelium.
Ich meine, wer es Petrus gleichtut, muss den kennen, der ihn ruft und über ein grenzenloses Vertrauen in dessen Fähigkeiten verfügen.
Das notwendige Risiko
Neben der oben genannten fragwürdigen Risikobereitschaft gibt es auch gesunde und für die menschliche Entwicklung notwendige Risiken.
Wir alle kennen blutige Knie, weil wir als Kinder gestolpert und hingefallen sind. Beulen und Schürfwunden waren der Preis dafür, dass wir das Laufen oder Radfahren gelernt haben. Der eine oder die andere erinnern sich an einen rotglühenden Oberkörper nach einem Bauchklatscher im Freibad oder den strengen Verweis des Lehrers, weil man bei der Klassenarbeit versucht hatte, vom Nachbarn abzuschreiben. Diese Risikobereitschaft und die daraus resultierenden Erfahrungen haben uns geholfen, Grenzen kennenzulernen und andere zu erweitern.
„Wer nichts wagt, der nichts gewinnt“, heißt es in einem alten Sprichwort. Mit Augenmaß Risiken einzugehen kann mich im Leben tatsächlich weiterbringen, ohne einen zu hohen Preis zahlen zu müssen. Mehr noch, die Bereitschaft zum Risiko kann für unvergessliche Momente des Glücks sorgen. – Denken Sie nur an Ihren ersten Kuss!
Zum Schluss noch ein Lesetipp. Vielleicht interessiert Sie mein Sommerspezial: https://leitenundleben.de/sommerspezial-ein-leben-fuehren-das-mir-selbst-gehoert/
Bildquellen
- „Tante Ju“ – eines der wenigen flugtauglichen Exemplare: Bild von Paul Henri Degrande auf Pixabay