Ich habe neulich über Vertrauen geschrieben: Vertrauen, das zerstört worden war. Heute möchte ich einen weiteren Aspekt dieses wichtigen Themas aufgreifen.
Es gibt nämlich eine unschöne Wahrheit – und die geht so:
„Vertrauen wird von oben erwartet und nach unten versagt.“
Ich wette, dass Sie das schon mehrmals erlebt haben: Ein Vorgesetzter wirbt um Vertrauen, ist aber, wenn‘s darauf ankommt, nicht bereit, selber Vertrauen zu investieren. Ist kein schönes Gefühl, leider aber häufig traurige Realität.
Aber bevor ich zu sehr über „die da oben“ klage, wäre es vielleicht eine gute Idee, mal einen Blick in den Spiegel zu werfen: Wie handhaben Sie und ich das in Ihrem Verantwortungsbereich? Sind Sie, bin ich bereit, jemandem zu vertrauen?
Ich halte nicht viel von blindem Vertrauen. In meinen Augen ist das fahrlässiges Verhalten. Umso mehr hat mich eine Reportage überrascht, ja, regelrecht fasziniert, die im niederländischen Fernsehen zu sehen war:
Eine faszinierende Begebenheit
Es ging um Väter und deren vierzehn- oder fünfzehnjährige Töchter. Das Interessante an der Vater/Tochter-Konstellation war, dass die Protagonisten Probleme miteinander hatten. Die Väter hatten ihre liebe Not mit den Töchtern und die „Erziehung der Väter“ schien, wenigstens in den Augen der Töchter, auch nicht recht zu gelingen. Die einen trauten den anderen nicht über den Weg und umgekehrt. Es versteht sich, dass jeder gute Gründe dafür anführen konnte.
In besagter Reportage begleitete ein Kamerateam eine Gruppe Väter und Töchter, die unter Anleitung einander zu vertrauen lernten. Höhepunkt war eine Kletterpartie, bei der die Mädchen ihre Väter beim Klettern am Seil absicherten. Leben und Unversehrtheit hingen buchstäblich von ihrem Einsatz ab. Wenn Papa ausrutschte oder den Halt verlor, bewahrte ihn das Sicherungsseil seiner Tochter vor schlimmen Konsequenzen.
Würden Sie sich dem Risiko einer Felswand oder eines Klettergartens aussetzen, wenn Sie wüssten, dass Ihre Unversehrtheit buchstäblich in den Händen ihrer Tochter ruht? Der, mit der Sie ständig Zoff haben?
Das Experiment glückte. Niemand kam zu Schaden. Und beide Seiten machten wichtige Erfahrungen. Mehr noch, die Kletterpartie wurde zum Wendepunkt ihrer Beziehung: Die Väter begaben sich freiwillig in die Obhut ihrer Töchter und wurden nicht enttäuscht, denn die Töchter übernahmen Verantwortung.
Für mich enthielt dieser Film eine wichtige Botschaft und diese möchte ich kurz ausführen:
1. Menschen sind fähig
Ich behaupte, Menschen sind zu mehr fähig, als man zunächst annehmen möchte, ja, zu mehr, als die Betreffenden vielleicht sich selbst zutrauen.
Am Ende des Films konnte man sehen, wie Väter und Töchter gewachsen waren. Beide waren sie ein hohes Risiko eingegangen, hatten sich gegenseitig etwas zugetraut. Sie waren ein Risiko eingegangen und hatten sich bewährt.
2. Menschen reagieren verantwortlich
Wenn es darauf ankommt, reagieren Menschen verantwortlich. Sie verhalten sich umsichtig und achtsam. Im Moment mag die Herausforderung überwältigend sein. Im Nachhinein erleben sie die Bewährung als etwas Beglückendes.
3. Begleitung ist essenziell
Das Experiment wurde in einem geschützten Rahmen gemacht. Natürlich waren erfahrene Bergführer zur Stelle, um nötigenfalls eingreifen zu können. Entscheidend war jedoch, wer das Sicherungsseil hielt. Will sagen: Der Rahmen war so gewählt, dass das Risiko aus objektiver Sicht überschaubar gewesen war.
Was kann ich mitnehmen?
Ja, Vertrauen ist ein zweischneidiges Schwert. Man macht sich verletzlich. Vor allem, wenn das Gegenüber vermeintlich unzuverlässig ist. Aber, und davon bin ich überzeugt, die meisten Menschen reagieren „erwachsen“, wenn man sie ernsthaft herausfordert. Sie wachsen – vielleicht sogar über sich selbst hinaus – während der Bewährung.
Es muss ja nicht gleich eine 20 Meter hohe Felswand sein. Vielleicht gibt es einen anderen, angemesseneren Rahmen, in dem man erste Vertrauensschritte ausprobieren kann. Ich jedenfalls habe als junger Mensch, sowohl im Elternhaus, wie auch bei meinen ersten eigenen Schritten in die Verantwortung, erleben dürfen, wie gut es getan hat, wenn es auf mich ankam und ich mich beweisen konnte. Und ich bin bis heute nicht enttäuscht worden, wenn ich mein Vertrauen investiert hatte.
Bildquellen
- Im Klettergarten: roya ann miller / unsplash
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