Steckenbleiben oder weiterkommen?

Zwei Jahreszeiten

Ich habe mir sagen lassen, dass es im nördlichen Teil Alaskas zwei Jahreszeiten gibt: Winter und Juli. Spätestens im Hochsommer tauen die Böden auch in den etwas tieferen Schichten. Infolgedessen mutieren unbefestigte Straßen zu fahrtechnischen Herausforderungen. Tiefe Spurrillen entstehen. Es soll sogar ein Straßenschild geben, auf dem steht: Wählen Sie Ihre Spurrille sorgfältig aus. Sie werden die nächsten 60 Meilen (100 km) darin fahren müssen. 

Leider war ich noch nie in Alaska. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das zu glauben, was Reisende mir berichtet haben. Allerdings kenne ich ähnliche Phänomene aus Afrika, wo ich als Kind aufgewachsen bin. 

Spurrillen entstehen nicht einfach so. Sie sind das Ergebnis mehrerer Faktoren. Und entstehen beispielsweise auf einer nicht geteerten Straße in dem durch Regen über längere Zeit hin aufgeweichten Untergrund und regen Verkehr, vorzugsweise, wenn dieser in schwer beladenen Lkws besteht. 

Spurrillen haben aber auch Vorzüge. Sie halten ein Fahrzeug in der Spur. Auch bei Kurven ist Lenken nicht nötig. Das Auto fährt wie von alleine auf der Straße weiter. 

Das geht so lange gut, wie man mit dem richtigen Tempo unterwegs ist. Aber wehe, wenn die Rille zu tief wird und die Reifen Traktion verlieren. Bevor man sich versieht, sitzt man fest. Spätestens dann wirds ungemütlich. – Denn wer hat schon Lust darauf, ein im Schlamm steckengebliebenes Auto anzuschieben?! 

Was das mit mir zu tun hat

Sie fragen sich vielleicht, warum ich dieses Beispiel so ausführlich beschreibe. Die Antwort ist einfach. Es gibt verblüffende Parallelen zu meinem und Ihrem Denken.  

Unser Denkapparat ist ein ausgesprochen flexibles und leistungsfähiges Organ, das Sinneseindrücke verarbeiten und Gedanken hervorbringen kann. Und es ist – im Bilde gesprochen – butterweich und formbar. Genau wie eine unbefestigte Straße im Norden Alaskas.

Die Fähigkeit, ständig Neues aufzunehmen oder Gedanken und Gewohnheiten zu produzieren, bezeichnet man als Neuroplastizität. 

„Neuroplastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, seine Struktur und Organisation kontinuierlich an veränderte Voraussetzungen und neue Anforderungen (z. B. Lernbedarf) anzupassen“, schreibt Christina Janssen in einem Beitrag für die Zeitschrift ergopraxis

Man kann es sich in etwa so vorstellen: Aus häufigen Gedanken entstehen Gewohnheiten, die ihrerseits Einfluss auf den Charakter ausüben. Der wiederum ist eines der wesentlichen Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen und damit prägend für sein Schicksal.     

Chancen und Gefahren

In der Eigenschaft, Neues zu erlernen und Gedanken zu Gewohnheiten zu verstetigen, liegen Chance und Gefahr nahe beieinander. 

Ich kann mein Gehirn beispielsweise darauf trainieren, für neue Impulse offen zu sein. Das geschieht, indem ich mich immer wieder bewusst Neuem oder vielfältigen Reizen aussetze. Ich kultiviere eine offene Haltung. Erlaube mir, spielerisch neugierig zu sein.    

In gleicher Weise kann ich aber auch zulassen, dass negative Impulse sich zu unguten Gedanken verdichten. Langsam entstehen kleine virtuelle Spurrillen infolge bestimmter wiederkehrender Denkmuster. Was anfangs einem Trampelpfad gleicht, wird zu einem ausgetretenen Denk-Pfad und schließlich ein breiter Gewohnheits-Gehweg. 

Über die Zeit wächst der Einfluss negativer Gedanken. Das kann zur Folge haben, dass meine früher optimistische Wahrnehmung sich mit der Zeit eintrübt und schließlich pessimistisch wird. Aus dem einst halb vollen Glas wird ein dauerhaft halb leeres. 

Schließlich reagiere ich negativ, ohne mir dessen bewusst zu sein. 

Die schlechte Nachricht

Die Konditionierung meines Denkens verläuft unbewusst. Das bedeutet, dass ich mir gute wie schlechte Denkmuster aneigne, ohne mir dessen bewusst zu sein. 

Hinzu kommt, dass eingefahrene Denkmuster nur schwer zu überwinden sind. Sie fordern ein beachtliches Maß an Kraftanstrengung, zu der ich erst einmal bereit sein muss.

Die gute Nachricht

Auch wenn die Veränderung meines Denkens mich fordern wird, muss es nicht bei dem bleiben, wie ich jetzt denke oder fühle. Bitterkeit, eine negative Grundhaltung oder mürrisch sein müssen mich nicht für immer ausmachen. Ich kann ein anderer Mensch werden. 

Mit dem entsprechenden Willen und Durchhaltevermögen kann ich umlernen. Ich kann mir buchstäblich neue Denkmuster antrainieren und mich so nachhaltig verändern. Das geht sogar noch im hohen Alter. Entgegen der landläufigen Meinung ist das Gehirn nämlich auch dann noch lernfähig und flexibel. 

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