Über die Herausforderung loszulassen
Zusammenfassung
Vergangenen Freitag bin ich durch meine alte Wirkungsstätte geschlendert und habe ein paar Fotos gemacht. Anlass dafür war der bevorstehende Abriss des Gebäudes, das mein Kollege Werner Sonneborn und ich vor gut 30 Jahren samt seiner fernsehtechnischen Ausstattung geplant und realisiert hatten. In wenigen Wochen soll das Gebäude abgerissen werden, um Platz zu schaffen für ein neues Medienzentrum.
Ich bin seit 37 Jahren im Unternehmen und gehöre somit zu den Oldies. 29 Jahre lang war in diesem Gebäude meine Wirkungsstätte, davon 25 Jahre in verantwortlicher Position. Bei dem Gedanken, dass etwas abgerissen werden soll, was ich selbst mitgestaltet und aufgebaut habe, beschleichen mich zwiespältige Gefühle. Und das, obwohl ich nun wirklich nicht sentimental veranlagt bin, jedenfalls nicht, wenn es um Beton geht.
Ich habe diesen Gang durch das fast ausgeräumte Gebäude genutzt, um in mich hineinzuhören. „Warum fällt es dir schwer, loszulassen?“ – Das habe ich mich gefragt.
Warum ich nicht loslassen will
Es ist eigentümlich: Wenn es darum geht, etwas loszulassen, dann haben viele Menschen ihre liebe Mühe damit. Ich habe mich gefragt, warum das so ist. Hier ist eine Auswahl von drei Gründen:
1. Die alte Welt
In der „alten“ Welt kenne ich mich aus. Die Umstände und Abläufe sind mir vertraut. Ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe und was ich von anderen erwarten kann. Das gibt mir Orientierung und Sicherheit in einer sich schnell ändernden Welt. Diese scheinbare Sicherheit will ich mir erhalten. Deshalb zögere ich, wenn ich aufgefordert werde, loszulassen.
2. Der alte Trott
Menschen im Allgemeinen sind Gewohnheitstiere. Ich bin ein prächtiges Exemplar dieser Gattung! Deshalb fällt es mir an dieser Stelle nicht schwer, freimütig zu bekennen, dass ich mit dem „alten Trott“ per Du bin. Wir kennen und möge uns.
Der alte Trott hat ja auch etwas Positives. Vieles geschieht im Autopilot-Modus und kostet mich deshalb wenig Energie. Ab einem bestimmten Punkt können Gewohnheiten aber zum Problem werden. Und zwar dann, wenn sie meine Entwicklungsperspektiven oder die des Unternehmens einschränken.
3. Der Erfolg vergangener Zeiten
Im Erdgeschoss des alten Gebäudes steht noch eine Glasvitrine. In ihr sind Preise und Pokale ausgestellt: stille Zeugen längst vergangener, glorreicher Tage. Damals, vor 10 oder 15 Jahren haben meine Kollegen beachtliche journalistische Erfolge erzielt und sind damit entsprechend ausgezeichnet, ja, regelrecht gefeiert worden. Diese Vitrine kommuniziert in aller Stille etwas, das ich auf keinen Fall loslassen will: den Erfolg vergangener Zeiten.
Mit diesen drei Gründen, warum ich etwas festhalten will, stellt sich mir die Frage:
Will ich auf das Neue zugehen oder mich verweigern?
Nun hilft alles nichts. In wenigen Tagen wird das Gebäude außer Dienst genommen werden und bald danach wird der Abriss beginnen. Ich sollte mich also auf etwas Neues, auf Veränderung, einstellen. Tue ich das nicht, wird der Abriss trotzdem stattfinden.
Bleibt die Frage: Warum sollte ich loslassen? Auch dafür gibt es triftige Gründe:
1. Berufliche Veränderungen erfordern mein Loslassen
Meine und Ihre Welt befinden sich in einem permanenten Umbruch. Als ich meine berufliche Laufbahn im Fernsehen begann, arbeiteten wir zunächst mit Videobändern auf Spulen. Diese wurden ersetzt durch immer kleiner werdende Kassettensysteme. Heute werden gigantische Datenmengen auf kleinen Chips gespeichert. Längst vorbei ist die Zeit, in der man einen Film „drehte“. An heutigen Kameras dreht sich nichts mehr. Sie arbeiten elektronisch und wie selbstverständlich mit der extrem hochauflösenden Ultra-HD Technologie. – In diesem Qualitätsstandard zu arbeiten hätte früher ein Vermögen gekostet.
Was in der Aufnahmetechnik selbstverständlich ist, gibt es in anderen Bereichen genauso. Wenn ich also nicht zu den ewig Gestrigen gehören will, muss ich mich anpassen, muss loslassen. – Sicher kennen Sie vergleichbare technische Umwälzungen aus Ihrem beruflichen Alltag. Denken Sie nur an den PC bei der Buchhaltung!
2. Weil ich in eine neue Lebensphase eintrete
Auf der menschlichen Seite ist es so, dass ich mit fortscheitendem Alter in neue Erfahrungsbereiche vorstoße. – Ich habe neulich über dieses Thema geschrieben (Hier ist der Link zum Artikel).
Mit diesen neuen Lebensabschnitten sollte ich mich auseinandersetzen und Ja zu ihnen sagen. Tue ich es nicht, werde ich ohne meine Zustimmung in die neue Lebensphase hineingezwungen. Das ist dann unter Umständen ein weniger schönes Erlebnis.
3. Nur wenn ich loslasse bin ich in der Lage, Neues anzunehmen
Nur wer sprichwörtlich loslässt, also die Hände öffnet und sie dem entgegenstreckt, was kommt, nur der ist in der Lage, das Neue an- und aufzunehmen. Mehr noch: Nur dann kann ich das Neue sinnvoll in mein Leben integrieren. – Das finde ich allemal besser, als längst vergangenen Zeiten nachzutrauern.
Ein aktueller Bezug
Vor wenigen Tagen haben Christen das Pfingstfest gefeiert. Pfingsten ist bekanntlich mit Weihnachten und Karfreitag bzw. Ostern eines der hohen Feste. An diesem Tag erinnern sich Christen an die Ankunft des Heiligen Geistes. Gemeint ist nichts anderes als eine göttliche Ermächtigung der Gläubigen durch den Geist Gottes.
Pfingsten ist der Wendepunkt im Leben der Nachfolger von Jesus gewesen. An diesem Tag haben sie sich für immer von ihrem alten Leben verabschiedet. Der Heilige Geist hat sie förmlich heraus aus ihren gewohnten Lebensumständen katapultiert und buchstäblich bis an die Enden der damals bekannten Welt geführt. Im Westen war das Spanien, im Süden Äthiopien und im Osten Südindien.
Angetrieben von ihrem Auftrag (siehe Matthäusevangelium 28,19-20), ließen diese Männer und Frauen die ihnen vertraute Welt hinter sich, machten sich auf und verbreiteten die christliche Botschaft in Länder und Kulturen, die ihnen bis dahin völlig fremd gewesen waren. Indem sie sich auf Veränderung einließen, wurden sie effektive Botschafter der christlichen Lehre und prägten schließlich die Welt.
Fazit
Es steckt jede Menge Potenzial in der Bereitschaft loszulassen und auf Neues zuzugehen. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie nicht steckenbleiben in dem, was gewesen ist, sondern den Blick mutig nach vorne richten. Vor Ihnen liegt möglicherweise eine aufregende Zukunft. Es wäre doch jammerschade, wenn Sie die nicht erleben könnten.
Bildquellen
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