Kurz und knapp: Chef zu sein, bringt Vorteile mit sich. Beispielsweise haben meine Worte Gewicht. Allerdings muss ich mich vor dem Papa-Syndrom und dem Prinzip des Topfdeckels in Acht nehmen.
Vorgesetzter zu sein, bringt einige Vorteile mit sich. Einer davon hat damit zu tun, dass meine Worte Gewicht haben. Wenn ich etwas sage, dann wird das gehört. Je weiter ich auf der Karriereleiter nach oben klettere, desto aufmerksamer hört man zu.
Ganz oben angekommen, verkehrt sich der Effekt allerdings ins Gegenteil. Fortan muss ich meine Äußerungen genau abwägen. Jedes Wort, jeder Halbsatz wird auf die Goldwaage gelegt. Interpretationen – auch solche, die ich nicht beabsichtige – schießen ins Kraut.
Das Papa-Syndrom und das Topfdeckel-Prinzip
Wenn Mitarbeiter allzu ergeben zuhören, hat das aber auch Nachteile. Ich nenne dieses Phänomen das „Papa-Syndrom“. Alle warten, bis „Papa“ oder „Mama“ gesprochen hat und setzen dann genau das um, was sie verstanden haben. Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich betonen, dass das in bester Absicht geschieht. Ich unterstelle niemandem das verhasste Radfahren (nach oben buckeln, nach unten treten). Menschen sind so gepolt.
Das Problem des Papa-Syndroms liegt im Topfdeckel-Prinzip. John C. Maxwell hat vor vielen Jahren in einem Buch davon geschrieben. Es trägt den Titel: Leadership. Die 21 wichtigsten Führungsprinzipien und ist 2021 in dritter Auflage im Brunnenverlag erschienen. Eine günstige Taschenbuchausgabe ist ebenfalls erhältlich.
Kurz und knapp formuliert: Das Topfdeckel-Prinzip besagt, dass jeder irgendwann gegen einen (unsichtbaren) Deckel stößt. Der Topfdeckel kann in meiner Fachkompetenz, meiner Sozialkompetenz oder in einem blinden Fleck begründet sein. Ohne jemanden, der mir den Gefallen tut und den Deckel entfernt, komme ich nicht weiter, weil meine eigenen Begrenzungen meiner Entwicklung im Wege stehen. Ich habe vor Jahren über den Topfdeckel-Effekt geschrieben. Hier ist der Link zum Artikel.
Wie komme ich raus aus dieser ungünstigen Situation? Was kann ich tun?
Die Zunge im Zaum
Anstatt der Versuchung zu erliegen, die aus meiner Sicht offensichtliche Antwort auf ein Problem auszusprechen, erscheint mir ein gangbarer Weg so auszusehen: Ich ermutige meine Gesprächspartner, deren Sicht zu artikulieren. Und zwar auch dann, wenn alle Augen auf mich gerichtet sind, weil man vom Chef eine Ansage erwartet. Die Faustregel lautet: Ich rede zuletzt.
Warum das wichtig ist? Weil ich mir auf diese Weise wertvolle Impulse und vielleicht überraschende Sichtweisen erschließe. Manchmal haben Mitarbeiter, die weiter unten in der Unternehmenshierarchie angesiedelt sind, die besten Ideen und Beiträge.
Ein schönes Beispiel dafür ist das Nike-Logo, auch als Nike Swoosh bekannt. Die Erfinderin war Carolyn Davidson, damals (1971) Studentin des Indian Institute of Art and Design, das zur Portland University gehört. Davidson wurde später bekannt als „The Logo Lady“.
Offene Türen
Ein weiterer Vorteil des Chefseins ergibt sich daraus, dass mir jede Menge Türen offenstehen.
Die geflügelte Redewendung „Gute Mädchen kommen in den Himmel, die bösen überall hin“ trifft in ähnlicher Weise für Vorgesetzte zu, die oben in der Unternehmenshierarchie angesiedelt sind.
Überlegen Sie einmal: Wie wäre das, wenn Sie nicht selbst durch jede Tür gehen, sondern kraft ihrer Position anderen Menschen Türen öffnen?
Wie könnte ein solcher Türöffner-Dienst aussehen? Beispielsweise indem Sie ausgewählten Mitarbeitern anbieten, diese als Mentor zu unterstützen. Das können Sie leicht realisieren, indem Sie den Betreffenden zu einem Mittagessen einladen.
Oder Sie bieten jemandem an, begrenzte Verantwortung zu übernehmen. Ich denke an ein Projekt, das Sie gemeinsam verantworten. Diese kleine Geste könnte lebensverändernde Folgen mit sich bringen.
Ich ermutige Sie: Verabschieden Sie sich von der Haltung des Mangels und handeln Sie großzügig. Ich bin davon überzeugt, dass das langfristige Früchte zeitigen wird.
Andere Stimmen
Wenn ich andere Stimmen zu Gehör bringe, zeige ich, dass ich nicht alles besser weiß. Meine Stimme ist nicht die einzige, der Mitarbeiter vertrauen können.
Wie kann das praktisch geschehen? Indem ich Mitarbeiter aufsuche und sie in einen Gedankenaustausch verwickle. Ich kann aber auch Bücher und Podcasts empfehlen oder Gastredner einladen.
Nach meinem Dafürhalten geht es nicht darum, das Rad neu zu erfinden, sondern bereits vorhandene Qualitätsressourcen geschickt zu nutzen.
Ein hilfreiches Format könnten beispielsweise sogenannte 90-Tage-Termine sein. Damit meine ich, dass ich nach 90 Tagen auf neue Mitarbeiter zugehe und sie zu dem befrage, was sie in den zurückliegenden Monaten erlebt und beobachtet haben. Alle Fragen sind willkommen. Also auch Fragen von Mitarbeitern, wie diese: Warum machen wir das, was wir tun, in dieser Weise? Anstelle einer ausführlichen Erklärung könnte die Gegenfrage lauten: Danke für Ihre interessante Beobachtung. Hätten Sie einen Verbesserungsvorschlag?
Ich fasse zusammen: Treten Sie aus dem Rampenlicht heraus und stellen Sie andere dorthin. Werden Sie zu einem Ermöglicher, also zu jemandem, der zuhört, fördert und bereit ist, Türen zu öffnen.
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