Kopfkino – Fluch und Segen

Podcast: Kopfkino – Fluch und Segen

Ich höre gerne Podcasts. Die Fahrt ins Büro oder eine längere Dienstreise sind ideale Gelegenheiten, um mich mit Themen zu beschäftigen, die mich einerseits interessieren, für die ich aber sonst kaum Zeit finde. Hinzu kommt das gute Gefühl, meine Reisezeit sinnvoll genutzt zu haben. 

Vor ein paar Jahren habe ich die Welt der Hörbücher für mich entdeckt. Wie ihren gedruckten Pendants, gelingt es Hörbüchern, mich binnen kürzester Zeit in andere Welten zu entführen. Ich kann mich entspannen und meiner Fantasie freien Raum zur Entfaltung lassen. Eine spannende Geschichte, vorgetragen von einem fähigen Sprecher, ist für mich Genuss pur. Da läuft mein persönliches Kopfkino zu Höchstform auf. 

Meine letzten beiden Hörbücher waren die Vertonung der Romane Fall Out von Carrie Stuart Parks und Der Verdächtige von John Grisham. 

Kopfkino

Was ich in meiner Freizeit genieße, kann aber auch zum Problem werden. Die Rede ist von meinem Kopfkino, das gelegentlich auch von allein aktiv wird. Mir stellt sich die Frage, wie umgehen mit meiner blühenden Fantasie? 

Wie machen Sie das? Gelingt es Ihnen, beispielsweise Wutgedanken einzufangen? Und was ist mit den Sorgen, die manchmal wie aus dem Nichts auftauchen? Wie stellen Sie das an? 

Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein persönliches Beispiel:  

Nach dem Unfalltod unserer zweiten Tochter – sie war von einer Nachtschicht auf der Intensivstation kommend am Steuer eingeschlafen – hatte ich ein ernstes Problem. Ich bekam Angstzustände, wenn ich am späten Abend nicht wusste, wo unsere Teenager sich aufhielten. Dabei hatte ich zu keinem Zeitpunkt Anlass gehabt, ihnen zu misstrauen. Unsere Kinder verhielten sich immer vorbildlich. Trotzdem war schlagartig eine Unruhe in mir, die mich so lange umtrieb, bis unsere Kinder zu Hause eintrafen.

Es gibt unterschiedliche Strategien, um das eigene Kopfkino im Zaum zu halten. Sehr beliebt, aber wenig hilfreich ist es, die eigenen Probleme zu verdrängen. 

Verdrängung 

Die Not wegdrücken. Ein freundliches Gesicht aufsetzen und so tun, als ob alles in Butter sei. Das war lange Zeit die Art, wie ich mit den Gedanken umgegangen bin, die mir zugesetzt haben. 

Öffentlich hätte ich noch vor wenigen Jahren das, worüber ich hier schreibe, niemals zugegeben. Warum? Weil es mich einerseits in meinem innersten Wesen betraf und weil ich andererseits nicht als verletzlich gelten wollte. Außerdem meinte ich, mich mit aller Macht vor den anderen (wer auch immer das war) schützen zu müssen. 

Besser als etwas zu verdrängen ist es, darüber zu reden. 

Wir haben als Familie miteinander einen Weg gefunden, der mir geholfen hat, Herr meines Kopfkinos zu werden. Es war eine Vereinbarung, die nachhaltig gewirkt hat. 

Dazu war es aber nötig, offen zu reden. Ich musste meine Schwäche in Worte kleiden und zu ihr stehen. Meine Kinder haben mir wiederum in praktischer Weise geholfen, indem sie die Lokalisierungsfunktion ihres Handys aktiviert haben. Danach konnte jeder sehen, wo ein anderes Familienmitglied sich gerade aufhielt.

Bei mir löste dieser einfache Trick ein kleines Wunder aus. Die Sorgen verstummten. Mein Kopfkino schaltete auf Standby. Ich fand zur Ruhe.  

Schweigen

Eine weitere, weitverbreitete Methode besteht darin, die Decke des Schweigens über dem Problem auszubreiten. Man redet nicht darüber und tut so, als sei es nicht vorhanden. Dabei steht es in der Regel – einem unsichtbaren Elefanten gleich – mitten im Raum. Jeder in der Familie oder Freundeskreis weiß um die Problematik, aber keiner traut sich, das Thema anzusprechen. 

Unter Drehbuchautoren spricht man gerne vom „Skelett im Kleiderschrank“. Gemeint ist, dass oberflächlich alles in bester Ordnung erscheint. Dieser trügerische Eindruck hält so lange an, bis irgendwer versehentlich die Tür des Kleiderschranks öffnet und die Bescherung zutage tritt.

Ich bin der Meinung, dass das, was mir Not bereitet und meine Fantasie unnötig in Gang setzt, im geschützten Raum auf den Tisch muss. Allerdings ist das nur dann möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen dafür geschaffen worden sind. Allen voran Empathie und Verschwiegenheit. 

Vertuschen

Artverwandt zur Strategie des Verschweigens ist das Vertuschen. In der Regel verbindet sich damit die Scham, dass man mit einer bestimmten Angelegenheit seine Not hat. Nicht darüber steht. 

Gerade bei Männern sind beispielsweise Versagensängste im Beruf oder der Beziehung schambehaftet. Die Vorstellung, als verweichlicht oder unreif abgelehnt zu werden, kann dazu führen, unter allen Umständen diesem Eindruck vorbauen zu wollen. Das kann dann eine unnötige Härte gegenüber sich selbst (und anderen) nach sich ziehen.

Scham führt unweigerlich zu Hemmungen. Und die lähmen. Sie nehmen mir die innere Freiheit und die Lebensfreude gleich dazu. Ich kann mich nicht mehr ungezwungen bewegen, muss ständig darauf achten, dass ich mir keine Blöße gebe, denn – wer weiß, was dann passieren würde! Meine freilaufende Fantasie lässt grüßen.

Was ich tun kann

Bis zu einem gewissen Grad hilft es, wenn ich mich ablenke. Das kann gut innerhalb einer Gruppe geschehen. Der Nachteil dieser Methode besteht darin, dass das Kopfkino nur vorübergehend in den Hintergrund tritt. Sobald ich wieder allein bin, ist es da, in Farbe und Stereo. 

Besser ist es, wenn ich im geschützten Rahmen laut aussprechen kann, was mich bewegt. Es spielt keine Rolle, wer mein Gegenüber ist. Das kann mein Lebenspartner, ein guter Freund oder eine gute Freundin, ein Mentor, Seelsorger oder anderer Vertrauter sein. Wichtig ist, dass mein Gesprächspartner mir zugewandt und verschwiegen ist.

Auch dazu möchte ich ein Beispiel anführen: Nach dem besagten Unfalltod unserer Tochter riet mir jemand, unbedingt und sehr regelmäßig den Austausch mit meiner Frau zu suchen. Ich sollte mir bewusst machen, dass wir beide unterschiedliche Trauerzyklen durchlebten und ihr mit der Haltung begegnen, dass jede Gefühlsäußerung – und sei sie zunächst einmal noch so irritierend – in Ordnung war. Entscheidend war lediglich, dass wir den Weg der Trauer gemeinsam gingen, uns einander mitteilten und dabei dem anderen bewusst den Freiraum zugestanden, den der brauchte. 

Heute weiß ich, dass dieser Rat besonders wertvoll gewesen ist. Denn das Miteinander und die Bereitschaft, dem anderen wohlwollend zu begegnen, vorbehaltlos zuzuhören, den anderen vielleicht sogar auszuhalten, wenn wir einander nicht verstanden haben – all das bewahrte uns vor Gedanken, die zu unserer Entfremdung geführt hätten. Mehr noch, es öffnete ein tieferes Verständnis für das Gegenüber. 

Soweit für heute. Es gäbe noch viel zu sagen, was allerdings den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Mich interessiert, wie Sie mit dem Thema Kopfkino oder freilaufende Fantasie umgehen. Schreiben Sie mir. Sie erreichen mich unter info@leitenundleben.de

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Bildquellen

  • pexels-cottonbro-3945313: Foto von cottonbro: https://www.pexels.com/de-de/foto/hande-kork-studio-film-3945313/

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