Immer wieder beschäftigt mich die Frage, ob das Prädikat „gut“ tatsächlich gut genug ist. Andersherum: Ist „sehr gut“ immer notwendig? Darf’s vielleicht auch mal ein bisschen weniger sein?
Ich denke an die bekannte 80:20 Regel. Man kann mit 20 % Aufwand etwa 80 % Ertrag erreichen, heißt es. Das ist in den meisten Fällen gut genug.
Wenn das tatsächlich so sein sollte, drängt sich mir die Frage auf: Warum strenge ich mich an, wenn weniger auch gut ist?
Ich erlebe die Auswirkungen der 80:20 Regel bei vielen Gelegenheiten und stelle fest, dass überall dort, wo sie mir begegnet, ich unzufrieden oder enttäuscht bin.
Neulich hatte ich wieder einmal ein solches Erlebnis.
Ein Praxisbeispiel
Meine Frau und ich hatten vor, unserem Enkel einen portablen CD-Player zu schenken. Die Eltern hatten ausdrücklich davon gesprochen, weil sie gerne die Kontrolle über das behalten wollten, was ihr Filius hört.
Im Elektronik-Discounter wurde uns von einem sehr geschäftig wirkenden Mitarbeiter erklärt, dass man so etwas nicht mehr im Sortiment führt. Diese Technik ist völlig veraltet, wurde uns bedeutet. Heute hat man MP3-Player. Die bieten mehr Komfort und Speicherplatz. Wenn es unbedingt ein solches Gerät sein solle, müssten wir im Internet danach suchen. Damit war die Beratung beendet und der nächste Kunde an der Reihe.
Mich beschlich das unangenehme Gefühl, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein, hatte aber die Herausforderung, dass unsere Kinder aus nachvollziehbaren Gründen ein bestimmtes Gerät haben wollten. Also zogen wir zum nächsten Elektromarkt. Dort erlebten wir Beratung jenseits der 80 %.
Wir wurden von einem freundlichen und interessierten Verkäufer bedient, der sich Zeit nahm, unser Anliegen zu verstehen. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, technisch unterbelichtet zu sein. Das Einkaufserlebnis wurde dadurch gekrönt, dass ein mobiler CD-Player sogar im Bestand war.
Was war der Unterschied? Im ersten Fall bekamen wir eine sachlich richtige, allerdings recht lieblose Auskunft. Zwischendurch hatten wir das Gefühl, mit unserem Anliegen den Verkauf zu stören. Der Mitarbeiter hatte 80 % Leistung abgeliefert. Uns hatte er als Kunden verloren.
Im zweiten Fall standen wir einem interessierten Verkäufer gegenüber, der die zusätzlichen 20 % investiert und uns exzellent beraten hat.
Quick & dirty?
In Unternehmen, die auf Umsatz oder Schnelligkeit getrimmt werden, ist die „quick & dirty“ Mentalität weit verbreitet. Die deutsche Übersetzung – schnell und schmutzig – entlarvt die Haltung: Erfahrungsgemäß sind „quick“-Anbieter von Dienstleistungen oder Produkten schnell mit dem Verkauf und anschließend ebenso schnell verschwunden. Derweil wird dem Kunden häufig die Erfahrung von dirty zugemutet. – Vor allem bei Software hat man gelegentlich den Eindruck, dass diese beim Kunden zu Ende entwickelt wird.
Mir sagt eine andere Einstellung mehr zu. Oswald Chambers hat sie – zugegebenermaßen in einem anderen Zusammenhang – einmal so formuliert: „Mein Äußerstes für sein Höchstes.“
Aber kann das in dem heute auf Agilität und Tempo getrimmten Produzieren und Verkaufen ein Geschäftsmodell sein?
Ja, unbedingt! Um es mit den Worten von Gründer und CEO von Predictable Success, Les McKeown zu sagen:
Don’t concede the battle between the best and the merely good. Your organization’s growth hinges on being world-class in key areas: talent, product/service, and culture.
„Geben Sie den Kampf zwischen den Besten und den lediglich Guten nicht auf. Das Wachstum Ihres Unternehmens hängt davon ab, dass Sie in den Schlüsselbereichen Talent, Produkt/Dienstleistung und Kultur Weltklasse sind.“
Folge ich diesen Gedanken, ist die 80:20 Regel in den Bereichen Belegschaft, Angebot und Unternehmenskultur die schlechtere Wahl.
Hier sind ein paar Beispiele:
Belegschaft
Anhand welcher Kriterien besetze ich wichtige Verantwortungsbereiche? Ist der infrage stehende Mitarbeiter der oder die beste Wahl für den zu besetzenden Job? McKeown folgend, könnten 80 %, 90 % oder 100 % Passgenauigkeit bei der Besetzung über einen Wettbewerbsvorteil mitentscheiden.
Für bedenkenswert halte ich in diesem Zusammenhang die Frage: Garantieren meine Führungskräfte eine gute Entwicklungsperspektive der ihnen unterstellten Belegschaft?
Produkt oder Dienstleistung
Wird das angebotene Produkt oder die Dienstleistung im Markt als spitze wahrgenommen? Können Kunden andernorts ein vergleichbares Produkt zu ähnlichen Konditionen erwerben? Was ist mein Alleinstellungsmerkmal?
Übrigens, um die besten Produkte und Dienstleistungen der Branche anbieten zu können, muss ich die besten Mitarbeiter einstellen. Und die kann ich nur dann für mich gewinnen, wenn ich mich verpflichte, erstklassige Produkte und Dienstleistungen zu liefern.
Unternehmenskultur
Im Bereich Unternehmenskultur zeigt sich nach meinem Dafürhalten der Unterschied zwischen gut und exzellent besonders deutlich.
Ich sag’s mal so: Eine gute Unternehmenskultur ist nicht kostspielig. Sie ist aber ein teures Gut. Und wer meint, auf sie verzichten zu können, der wird über kurz oder lang einen hohen Preis berappen müssen. Wie sagte es Peter Druckereinst so treffend: ‚Culture Eats Strategy For Breakfast‘. Die Unternehmenskultur verspeist Strategie zum Frühstück.
Zu guter Letzt…
Weiteren Lesestoff finden Sie in den Rubriken leiten, leben, persönliche Entwicklung und Produktivität.
Bildquellen
- pexels-cottonbro-studio-7097472: Foto von cottonbro studio: https://www.pexels.com/de-de/foto/menschen-frau-spielen-musik-7097472/