Vor einiger Zeit habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, jeden Tag einen kurzen Abschnitt in der Bibel zu lesen. Ich weiß, das mag den einen oder die andere befremden. So viel in der Bibel lesen? Ist das nicht aus der Zeit gefallen?
Für mich ist es keine religiöse Übung. Ich lese aus Interesse. Gelegentlich stolpere ich über Aussagen, die mich nachdenklich stimmen und sogar herausfordern.
Ein ungewöhnlicher Rat
Heute ist es wieder einmal so weit. Mir ist ein Gedanke in die Quere gekommen, der gut und gerne 3000 Jahre alt ist und völlig anders als das klingt, was ich aus meinem Alltag kenne.
Im Buch der Sprüche (im ersten Teil der Bibel) lese ich folgenden Gedanken:
Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser, denn du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt häufen, und der HERR wird dir’s vergelten. Sprüche 25 Verse 21–22
Dieser Ratschlag wird Salomo zugeschrieben, dem dritten König Israels und dem bei weitem politisch einflussreichsten Monarchen seiner Zeit. Damals wird sagenhafter Reichtum mit Salomos Regentschaft verbunden. Außerdem wird er als Universalgelehrter weit über die Landesgrenzen hinaus geschätzt.
Salomo empfiehlt genau das Gegenteil dessen, was seinerzeit üblich ist. Anstatt mit Härte und Ablehnung zu antworten, rät er zur Freundlichkeit und Güte. Ich soll mich meinem Widersacher zuwenden, wenn er bedürftig ist. Ihm Gutes tun, wenn dieser es braucht. Diese Haltung soll mein Leben prägen.
Ein zentraler Gedanke der Bergpredigt
Gut eintausend Jahre später greift Jesus Salomos Gedanken auf und entwickelt sie in der berühmten Bergpredigt weiter.
Das Matthäus-Evangelium überliefert Worte von Jesus, die unterstreichen, was Salomo vor ihm gesagt hat. Jesus erwartet von seinen Nachfolgern, dass sie die Feindesliebe zu einem Teil ihres künftigen Lebensstils machen. Bei ihm klingt das so. Ich zitiere:
Es heißt bei euch: ›Liebe deinen Mitmenschen und hasse deinen Feind!‹ Doch ich sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen! So erweist ihr euch als Kinder eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne für Böse wie für Gute aufgehen, und er lässt es regnen für Fromme und Gottlose. Wollt ihr etwa noch dafür belohnt werden, dass ihr die Menschen liebt, die euch auch lieben? Das tun sogar die Zolleinnehmer, die sonst bloß auf ihren Vorteil aus sind! Wenn ihr nur euren Freunden liebevoll begegnet, ist das etwas Besonderes? Das tun auch die, die von Gott nichts wissen. Ihr aber sollt in eurer Liebe vollkommen sein, wie es euer Vater im Himmel ist. Matthäus 5, Verse 43-49
Wie soll das gehen?
Fordern Salomo und Jesus nicht mehr, als man von einem Menschen verlangen kann? Überhaupt, wie soll ich das anstellen? Meine Feinde lieben? Denen Gutes antun, die mir Leid zufügen wollen oder das bereits getan haben?
Wer das aus eigenem Antrieb heraus schafft, der verdient meinen höchsten Respekt.
Ich glaube, dass das aus eigener Kraft nur schwer möglich ist. Aber als Christ weiß ich, dass ich Herausforderungen wie diese im Gebet vor Gott tragen kann. Nicht umsonst ermuntert Jesus seine Nachfolger dazu mit den Worten: Bittet, so wird euch gegeben. Sucht, ihr werdet finden. Klopft an, euch wird aufgetan. Matthäus-Evangelium 7, Vers 7
Wenn ich Gott herzlich bitte, mir dabei zu helfen, das Unmögliche zu tun, dann kann es tatsächlich gelingen. Warum? Weil ich dann aus der Kraft handle, mit der er mich ausstattet. Und das macht den Unterschied.