„Ich fühle nur noch schwarz-weiß!“

Podcast: „Ich fühle nur noch schwarz-weiß!“

Sind Sie in der Lage, Ihre Gefühle präzise zu beschreiben? Vor allem für uns Männer kann das herausfordernd sein. 

Auch wenn das eigentümlich klingt, Gefühle wahrnehmen und dann benennen kann längst nicht jeder. Viele Menschen sind aufgewachsen, ohne über ein Vokabular zu verfügen, mit dem sie Gefühle differenziert ausdrücken können. 

Es ist, als ob sie nur hell, dunkel und ein paar Grautöne benennen können, nicht aber den Farbenreichtum dessen, was sie sehen.

Wer aber seine Gefühle nicht erkennen oder auszudrücken vermag, neigt dazu, sie zu verdrängen und zu hoffen, dass sie einen in Zukunft in Ruhe lassen werden. 

Ich beschäftige mich zurzeit mit dem Buch »The Weary Leader’s Guide to Burnout: A Journey from Exhaustion to Wholeness«. In diesem Buch geht es um besondere Herausforderungen, denen sich Pastoren stellen müssen und die im schlimmsten Fall ins Burnout führen können. Leider ist der Titel noch nicht ins Deutsche übersetzt worden. 

Die Autoren Sean Nemecek and Glenn Packiam schreiben[1]: „Eine Emotion zu verleugnen bedeutet, den Zugang zu den anderen zu vermindern – auch zu den guten Emotionen. Die Unfähigkeit, authentische Emotionen zuzulassen oder auszudrücken, führt in der Regel zu Gefühlen von Burnout und Frustration. Und ausgebrannte, frustrierte Führungskräfte leiten selten erfolgreiche Organisationen.“ 

Folge ich dem Gedankengang der beiden Autoren, wirkt sich die Unfähigkeit, Gefühle zu benennen in beide Richtungen aus.

Ich habe in den zurückliegenden Wochen aus gegebenem Anlass viel über unterdrückte Gefühle nachgedacht. Und ich habe verstanden, welchen Schaden das anrichten kann, wenn ich mir nicht eingestehe, was mir gerade widerfährt oder in der Vergangenheit passiert ist. 

Zum Glück gibt es Abhilfe. Bevor ich aber darauf eingehe, scheint mir noch etwas anderes wichtig zu sein: Ich muss bereitsein, das nüchtern anzuschauen, was passiert ist und wie ich damit umgegangen bin.

Den Wortschatz gezielt ausbauen

Die deutsche Sprache verfügt über einen reichhaltigen Wortschatz. Mit ein bisschen Mühe kann ich treffende Worte für meine aktuelle Gefühlsverfassung finden. Anstelle von einem „Mir gehts nicht gut“, könnte ich sagen: Ich fühle mich unterdrückt, ausgeschlossen, gleichgültig, abgelenkt, entmutigt, ausgebremst, unzufrieden, ausgelaugt, irritiert, verärgert, gefühllos, wütend, gereizt, krank, fiebrig, erschöpft oder wie durchs Wasser gezogen – um nur einige Begriffe zu nennen, die auf „Mir gehts nicht gut“ passen könnten. 

Im vertrauten Kreis üben

Treffsicher den passenden Begriff verwenden, will geübt werden. Manche Worte unterscheiden sich durch Bedeutungsnuancen. Da kann es passieren, dass ich danebengreife. 

Deswegen empfiehlt es sich, vertraute Menschen um Unterstützung zu bitten. Leute, die mir zugewandt sind, mein Bestes wollen und keine Hemmungen darin haben, mich zu korrigieren.

Wenn ich mich sicherer beim Gebrauch der richtigen Vokabeln fühle, ist es an der Zeit, den nächsten Schritt zu tätigen. 

Durch das eigene Beispiel anderen Mut machen 

Je nach Situation kann es hilfreich sein, im Team das zu tun, was ich im engsten Freundes- und Familienkreis geübt habe. Ich erkläre mein Vorhaben und bitte die Kollegen um Unterstützung und ggf. Korrektur.

Glauben Sie mir, Ihrem Gegenüber zu zuhören und anschließend zu spiegeln, was Sie wahrgenommen und verstanden haben, ist ein wichtiger Baustein beim Aufbau von Vertrauen. Durch Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Bemühen, die angemessenen Worte für das zu finden, was Sie beobachtet und empfunden haben, vermitteln Sie: Ich sehe dich. Und ich bemühe mich, dich zu verstehen. Allein diese Botschaft kann Wunder bewirken!

Noch ein Gedanke für jene, die Verantwortung tragen. Dazu möchte ich Brandon Cox, der mich zu diesem Artikel inspiriert hat, zu Wort kommen lassen. Er schreibt: „Als Führungskraft müssen Sie daran denken, dass Ihre wichtigste Aufgabe in Ihrer Organisation die Schaffung einer gesunden Kultur ist. Dies ist wichtiger als Ihre Strategie, Ihre Struktur oder jede Erklärung, die Sie schreiben könnten. Wenn Sie Ihre Emotionen beim Namen nennen, ist das eine Möglichkeit, diese Praxis für andere zu normalisieren. Sie wissen wahrscheinlich, wie wichtig es ist, den ersten Schritt zu tun, wenn es darum geht, kreativ zu sein, Risiken einzugehen und sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen. Aber was wäre, wenn der erste Schritt beim Ausdruck von Gefühlen einen gesünderen Arbeitsplatz um Sie herum schaffen könnte?“ 

Ein Wort der Vorsicht

Es kann sein, dass sich hinter der Unfähigkeit, differenziert Gefühle wahrzunehmen, ein ernstes Problem verbirgt. Ich denke an Traumata aus längst vergessenen Zeiten, die den Zugang zur eigenen Gefühlswelt einschränken.

Wenn Sie den Verdacht haben, dass etwas aus Ihrer Vergangenheit Sie behindert, sollten Sie psychologische Hilfe aufsuchen. 


[1] Hier das amerikanische Originalzitat: Denying one emotion means diminishing access to the others—including the good ones, an inability to access or express authentic emotion usually leads to feelings of burnout and frustration. And burned out, frustrated leaders rarely lead thriving organizations. 

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