Haben Sie schon einmal einen größeren Berg bestiegen? Vielleicht einen, der eine gute Rundumsicht ermöglicht, wie beispielsweise die 770 Meter hohe Teck im „Ländle“ oder der 1280 Meter hohe Schauinsland bei Freiburg im Breisgau. Der Blick ist erhebend: Man sieht die Vogesen, den Kaiserstuhl und sogar die Schweizer Alpen.
Neulich habe ich einen Berg bestiegen, der eigentlich nicht viel mehr als ein besserer Sandhaufen ist. Im äußersten Süden von Rügen befindet sich der 36 Meter hohe Lotsenberg. Aber auch er bietet eine grandiose Aussicht auf das Mönchgut.
In den Alpen nutzt man die Berghänge zum Skifahren. Gelegentlich dienen ihre Flanken als Steinbrüche. Aber meistens werden Berge wegen der Aussicht bestiegen. Einmal oben angekommen, entschädigt der weite Blick für die Strapazen des Aufstiegs.
Der Aufstieg ist besser als die Sicht vom Gipfel
Mir hat mal jemand gesagt: Denk daran, dass der Aufstieg besser ist als die Sicht von oben.
Das mag ein bisschen überraschend klingen. Wieso sollte der Aufstieg besser sein? Ist es nicht der atemberaubende Ausblick auf einem Berggipfel, weshalb ich mich so anstrenge?
Natürlich ist es etwas Besonderes, wenn ich auf einem Berggipfel stehe und den Blick in die Ferne genießen kann. Das ist keine Frage.
Aber wenn ich auf dem Gipfel stehe, wird mir bewusst, dass ich am höchsten Punkt meiner Reise angekommen bin. So sehr ich mich anstrenge, es geht nicht mehr höher hinauf. Im Gegenteil: Mir wird bewusst, dass ab jetzt sämtliche Schritte zwangsläufig abwärts führen werden. Und das kann eine ziemlich ernüchternde Erkenntnis sein.
In wenigen Wochen ist Weihnachten, ein Höhepunkt im Jahr vieler Menschen. Die Adventswochen vermitteln Vorfreude aufs Fest. Aber wenn dann der 25. Dezember plötzlich da ist, verspürt manch einer ein bisschen Ernüchterung und fragt sich: War das jetzt alles? Solls das gewesen sein?
Ähnlich geht es dem einen oder anderen Olympioniken. Jetzt, nachdem der Wettkampf vorbei ist und man erfolgreich um eine Medaille gekämpft hat, stellt sich Leere ein. Was kann noch kommen?
Mich führt das zu folgender Überlegung: Kann es sein, dass das Glück in der Vorfreude auf das Erreichte liegt und nicht im Erreichten selbst? Es in der Suche, der Vorbereitung, unterwegs auf der Reise zu finden ist?
Womöglich liegt das Glück nicht im Haben, sondern im Werden, im Aufstieg und nicht auf dem Gipfel.
Ich bin jemand, der sich gerne Ziele setzt und dem es Freude bereitet, auf diese zu zuarbeiten. Und deshalb ist es mir wichtig, dass ich mir das immer wieder vor Augen halte: Genieße die Reise. Feiere die kleinen und größeren Erfolge auf dem Weg dorthin. Lade andere ein, dich ein Stück weit zu begleiten.
Das führt mich zu einem weiteren Punkt, den ich ansprechen möchte:
Wer die Gipfelsonne genießen will, muss sich durchs dunkle Tal emporarbeiten
Vor ein paar Tagen habe ich mit einem Piloten gesprochen. Wir trafen uns zufällig am späten Nachmittag nach seiner Rückkehr von einem Rundflug über Mittelhessen.
Im Verlauf unseres Gesprächs kamen wir aufs Wetter zusprechen. Er erwähnte die atemberaubende Aussicht auf Bergrücken, die aus Nebelfeldern wie Inseln mitten in einem Meer von Wolken herausragten.
Ich selbst hatte am gleichen Vormittag die Anhöhe hinter unserem Haus bestiegen und mich bei der Gelegenheit aus dem nebligen Dilltal in den Sonnenschein herausgearbeitet. Anfangs hatte ich gezögert. Der Blick aus dem Fenster war wenig einladend gewesen. Draußen war es nasskalt und neblig trüb, die Temperatur gerade einmal 3° Celsius. Am Ende meiner kleinen Wanderung wurde ich jedoch mit einer spektakulären Aussicht belohnt. Klare Luft, strahlend blauer Himmel und die herbstlich eingefärbte Landschaft – um das erleben zu können, hatte ich meine Komfortzone verlassen und mich auf den Weg durch den feuchten Nebel machen müssen.
Mir drängen sich ein paar Fragen auf: Kann es sein, dass der Erfolg, den ich mir wünsche, in der Disziplin liegt? Finde ich ihn etwa in der Struktur, Routine, Ordnung und Langeweile, die ich so gerne vermeide?
Und: Was überhaupt ist Erfolg? Ist damit das Erreichen eines Berggipfels oder die unbehinderte Aussicht oberhalb des Nebels gemeint? Letztere kann ich bereits unterwegs genießen. Hingegen kann es mir passieren, dass ich einen Gipfel erreiche und nichts von meiner Anstrengung habe, weil mir dichte Wolken die Sicht versperren.
Zu guter Letzt
Mich interessiert, wie Sie es dem Nebel halten, ich meine sowohl wörtlich wie auch im übertragenen Sinn. Ist er für Sie eine willkommene Ausrede, nicht rauszugehen oder gehören Sie zu denen, die sich von sowas nicht abhalten lassen? Wenn Sie mögen, dann schreiben Sie mir gerne. Nutzen Sie dazu bitte das Kontaktformular.
Bildquellen
- mountains-7487893_1920: Bild von Gerhard Eichstetter auf Pixabay