Larry Osbourne hat mich auf etwas aufmerksam gemacht, das ich vorher nie so gesehen hatte. Er sagt: Je weiter Sie in der Unternehmenshierarchie aufsteigen, desto lauter wird Ihr Flüstern. Irgendwann ist es unüberhörbar. Schließlich dröhnt es regelrecht.
Ich habe eine Weile über das nachdenken müssen, was Larry Osbourne gesagt hat. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass das stimmt – und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Flüstern ist nicht gleich Flüstern
Aus der eigenen Erfahrung weiß ich: Wer seine erste Beförderung hinter sich hat, dessen “Flüstern” wird in der Regel überhört, um nicht zu sagen, ignoriert. Vor allem gegenüber alteingesessenen Kollegen ist es nicht leicht, sich angemessen durchzusetzen. Oft werden Spielchen gespielt, in denen der oder die Neue ausgetestet werden. Für eine frischgebackene Führungskraft ist das in der Regel eine spaßbefreite Phase.
Mit den Dienstjahren, der zunehmenden Erfahrung und der wachsenden Rollensicherheit ändert sich das. Die Spielchen enden. Man findet eine gemeinsame Basis und arbeitet konstruktiv zusammen. Über die Zeit werden die Mitarbeiter aufmerksamer. Man muss nicht mehr ganz so deutlich werden, denn zum einen ist die Hackordnung geregelt und zum anderen gibt es eine Kommunikationsebene, die es ermöglicht, gemeinsame Anliegen voranzubringen.
Wer als Führungskraft einmal anerkannt ist, für den ist es ein Leichtes, sich Gehör zu verschaffen, ohne die Stimme unnötig zu heben. Das liegt daran, dass die eigene Stimme inzwischen so viel Autorität und Gewicht gewonnen hat, dass Mitarbeiter automatisch zuhören. Dementsprechend kann beispielsweise eine einfache Bitte viel in Bewegung setzen.
Warum manches Flüstern lauter klingt als anderes
Die Sache mit dem Flüstern hat aber noch eine andere Seite:
Viele Menschen hören berechtigt ausgesprochene Kritik “lauter” als diese tatsächlich ausgesprochen, geschweige denn gemeint ist.
Mich hat dieses Phänomen in der Vergangenheit mehrfach irritiert. Ich erinnere mich an Situationen, in denen ich mir sicher gewesen bin, dass ich meine Kritik ausgewogen und sachbezogen formuliert hatte, musste dann aber feststellen, dass die Wirkung meiner Worte stärker als beabsichtigt war. Ich verstand einfach nicht, wie das passieren konnte.
Heute weiß ich, dass ein relativ einfacher Mechanismus im Hintergrund abläuft: Je weiter die kritisierende Person in der Hierarchie aufgestiegen ist, desto potenziell folgenschwerer wird die Kritik vom Betroffenen eingeordnet. Die Kritik von einem Geschäftsführer wird demzufolge immer lauter gehört, als wenn ein Gruppen- oder Teamleiter etwas sagt.
Chefgeflüster
“Flüstern” von Mitgliedern der Unternehmensführung wird automatisch von den Mitarbeitenden aufmerksam zur Kenntnis genommen. Mit Flüstern meine ich hier gezielte, halblaute Äußerungen, die Interpretationsraum zulassen. Diese Form des “Flüsterns” ist eine beliebte Methode, um Unsicherheit und ein bisschen Irritation zu bewirken. Sie wird auch gerne eingesetzt, wenn es darum geht, den Boden für eine unangenehme Verlautbarung oder Entscheidung zu bereiten.
Dieser Effekt hat vor allem dann gravierende Auswirkungen, wenn die Beziehungen zwischen Unternehmensführung und Belegschaft angespannt oder belastet sind. Denn Menschen haben die Tendenz, jedes Wort von oben auf die Goldwaage zu legen bzw. Bedeutungen in die Worte zu fabulieren. Wer nicht aufpasst, wird erleben müssen, wie Botschaften plötzlich ungewollt ein Eigenleben entwickeln.
Fazit
Wenn es Ihnen möglich ist, verzichten Sie bitte auf „Flüstern“. Pflegen Sie vielmehr die Kommunikation mit möglichst offenem Visier. Das erspart einem manchen unnötigen Ärger und baut zudem Vertrauen auf.
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