Es kommt auf die Wasserlinie an

Meine Blicke streifen über den wenige Meter entfernten Strand. Die Sonne lacht. Heute ist ein guter Tag. Anderswo weiter im Norden zeigt sich der Frühherbst von seiner nassen und kalten Seite. Wie gut, dass wir uns ein paar Tage Italien gegönnt haben. 

Schräg drüben, einige hundert Meter entfernt, sind ein paar Motorboote an der Mole vertäut. Sie schaukeln friedlich in der leichten Brise. 

Während ich den Ausblick genieße, werde ich an Gedanken von Scott Cochrane erinnert. Der schreibt: Gerne wird übersehen, was sich unterhalb der Wasserlinie befindet. Obwohl wesentlich, bleibt es dem Auge des Betrachters verborgen und wird somit als selbstverständlich vorausgesetzt. Dabei trägt das, was sich unter der Wasserlinie verbirgt, genauso zum Gelingen des Lebens und Arbeitens bei, wie das, was gut sichtbar ist.  

Nicht nur das. Was passieren kann, wenn beispielsweise unterhalb der Wasserlinie ein Loch in die Schiffswand gerissen wird, hat James Cameron in seinem Melodram Titanic eindrücklich inszeniert.  

Was man nicht sieht

Führungskräfte zeichnen sich in der Regel durch harte Arbeit, sorgfältige Planung und Umsetzung aus, sowie durch Initiative und eine gesunde Portion Resilienz. Diese Merkmale sind normalerweise für jeden offensichtlich.

Es gibt aber ein paar Gewohnheiten, die mich positiv beeinflussen, ohne dass dies für andere sichtbar ist. Über die möchte ich mit Ihnen nachdenken. Es geht mir um Angewohnheiten, die sich – im Bilde gesprochen – unter der Wasserlinie befinden. Also dort, wo andere nicht hinschauen (können). 

Zunächst wäre da … 

Die Disziplin des Nichtarbeitens

Beim ersten Nachdenken über diese Idee empfand ich Abwehr.

Wie bitte? Nichtarbeiten als Disziplin? Das geht gar nicht! 

Es kann sein, dass diese Reaktion meinem Elternhaus geschuldet gewesen ist, denn zu Hause war Leistung wichtig. Nicht, dass sie lautstark eingefordert wurde. Es war vielmehr so, dass sie erwartet wurde. 

Müßiggang hatte bei uns zu Hause keinen Platz. Vielleicht wurde das durch den Umstand begünstigt, dass mein Vater früh verstarb und meine Mutter mich und meinen Bruder allein aufziehen musste.

Wie auch immer. Die Prägung meines Elternhauses wirkt bis heute nach. Es fällt mir schwer, nichts zu tun. 

Scott Cochrane hat einen besonderen Aspekt im Blick, wenn er von der Disziplin des Nichtarbeitens spricht: Es ist nicht nur in Ordnung, am späten Nachmittag das berufliche Tagewerk zu beenden und sich dem Privaten zu zuwenden. Ich sollte darin sogar meinem Team als Vorbild dienen.  

Spaß haben

Wer sich getrieben weiß von einem Auftrag, für den ist es nicht leicht, einfach einmal für eine Weile loszulassen und Spaß zu haben. 

Ich habe mir sagen lassen, dass das manchen Leuten so schwerfällt, dass sie sich extra Zeiten in ihrem Kalender blockieren, an denen sie sich Spaß und Zerstreuung gönnen. Das klingt verrückt. Ich weiß. Aber im Zweifelsfall ist es besser, sich bewusst Zeit freizuschaufeln, als auf Freude ganz zu verzichten. 

Feiern können

Eine klare Ausrichtung auf das gesteckte Ziel ist hilfreich und wichtig. Darüber sollte aber nicht vergessen werden, was auf dem Weg dorthin bereits erreicht worden ist. 

Meilensteine sind gute Anlässe, um Fortschritte zu feiern. Überdies entsteht ein wünschenswerter Nebeneffekt: Schwung für die nächste Etappe. 

Sich des Guten bewusst werden

In der angloamerikanischen Sprachwelt gibt es eine Redewendung, die mir gut gefällt. Sie lautet: »Count your blessings« und bedeutet wortwörtlich: Zähle den Segen, der dir zuteilgeworden ist. 

Anders gesagt: Werde dir bewusst, wie viel Gutes du bereits erfahren hast. Schau hin. Betrachte es nicht als selbstverständlich. Dein Leben hätte auch anders verlaufen können.

Wer sich des Segens bewusst wird, der ihm oder ihr widerfahren ist, wird erleben, wie Dankbarkeit ins Leben und Arbeiten einzieht.   

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