Ich sitze gerne in den frühen Morgenstunden in unserem Wohnzimmer und genieße ein paar Minuten Stille, bevor ich mit der Büroarbeit starte. Im Frühjahr und Sommer kommt ein besonderer Moment dazu. An manchen Tagen ist der Sonnenaufgang atemberaubend schön. Ich werde erinnert an Paul GerhardtsMorgenlied: „Die güldne Sonne voll Freud und Wonne“.
Ein atemberaubender Vorgang
Mich fasziniert immer wieder aufs Neue, wie sich die Wahrnehmung meiner Umwelt in diesen Minuten verändert.
Anfangs sind es grobe Formen, die in der schwindenden Dunkelheit beginnen, hervorzutreten. Am Horizont wird ein schmaler Silberstreifen erkennbar, der etwas heller ist als der Nachthimmel. Erst kaum sichtbar wächst er an Intensität. Dann breitet sich das fahle Licht der frühen Dämmerung aus. Wenn Nebelschwaden im Talgrund liegen, entsteht für kurze Momente eine bezaubernde, nahezu mystische Stimmung. Irgendwann weicht sie den satten und kräftigen rotgoldenen Farbtönen der aufgehenden Sonne. Bald leuchtet die Natur in warmen Farben und die Sonne steigt am Himmel empor, wo sie an Strahlkraft gewinnt.
Wie gesagt, ich liebe diese Momente.
Über dem heutigen Sonntag steht ein Wort aus dem Alten Testament, dem ersten Teil der Bibel. Dort beschreibt der Prophet Jesaja ein Ereignis, das mich an einen Sonnenaufgang erinnert. Er schreibt:
„Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit scheint über dir.“ Jesaja 60,2b.
Wie ist Jesajas Aussage zu verstehen und wo könnte die Verbindung zu Ihnen und mir sein?
Der historische Zusammenhang
Was Jesaja hier beschreibt, ist zunächst einmal ein Zuspruch, der einer Stadt gilt. Der Zusammenhang macht klar, dass die Rede von „Zion“ ist.
Zion war ursprünglich der Turmberg des Stadtstaates Jebus, dem späteren Jerusalem. Dort lebte das Volk der Jebusiter. Später, zur Zeit Jesajas, verstand man unter Zion den Wohnsitz Gottes bei den Israeliten. Dem Begriff Zion wurde demnach eine spirituelle Bedeutung zugesprochen.
Jesaja vergleicht nun die Morgensonne mit Gottes Herrlichkeit, die über Jerusalem und allen seinen Einwohnern aufgeht. Gottes Gegenwart verbindet der Prophet mit seinem Wohlwollen.
Übertragen auf heute bedeutet das: Gottes Wohlwollen richtet sich gleichermaßen an alle Einwohner der Stadt Jerusalem, also Juden, Christen und Araber eingeschlossen. Das bedeutet wiederum, dass niemand Gott für sich reklamieren kann.
Die persönliche Dimension
Ich bin davon überzeugt, dass das Bibelwort aus Jesaja 60 auch eine persönliche Dimension hat. Es kann als Versprechen für mein und Ihr Leben verstanden werden. Und zwar so:
Wenn die Gegenwart Gottes in meinen Lebensbezügen „aufgeht“, also mich und mein Umfeld zunehmend erhellt, dann ist das gut. In diesem besonderen „Licht Gottes“ merke ich, wie Orientierung möglich wird. Aber es ist auch so, dass dieses „Licht Gottes“ für die eine oder andere Überraschung gut ist. Plötzlich erkenne ich Zusammenhänge und eigene Verhaltensweisen, die mir zuvor nicht bewusst gewesen sind. Ich nehme manches in einem anderen Licht wahr, und das sind nicht immer Vergnügungssteuer pflichtige Momente.
Trotzdem wünsche ich mir für diesen Sonntag diese Zusage: „Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit scheint über dir.“ Denn ich möchte mir nichts mehr vormachen. Vielmehr ist mein Wunsch, klar sehen zu können. Und zwar mich und meine Umwelt, das, was ich tue und wer ich bin.
Noch ein Hinweis
Neben Artikeln über Führungsthemen, persönliche Entwicklung und Produktivität veröffentliche ich sonntags Gedanken über Texte aus der Bibel. Hier finden Sie weitere Artikel.
Bildquellen
- earth-1756274_1920: cvBild von Arek Socha auf Pixabay