Von einer Person, der Führungsverantwortung anvertraut werden soll, kann man mehr verlangen. Das ist die landläufige Überzeugung. Gerne wird in diesem Zusammenhang von charakterlichen Voraussetzungen gesprochen.
Dass fehlender Charakter zu handfester Kriminalität führen kann, weiß man nicht erst seit dem Skandal um den Zahlungsdienstleister Wirecard und seinen Ex-Vertriebschef Jan Marsalek.
Nur, was genau ist damit gemeint? Gibt es eine Sammlung von unverzichtbaren Persönlichkeitsmerkmalen, die man einzeln oder zusammengefasst als Charakter beschreiben und an denen man sich oder andere messen könnte? Etwas, dass eine Art Grundlage oder Voraussetzung für moralisches Verhalten bildet?
Über Charakter ist in der Psychologie ausgiebig geforscht und publiziert worden. Es ist nicht meine Absicht, mich darüber auszulassen. Mir geht es hier um Praktisches und Handfestes.
Deshalb habe ich hier ein paar Persönlichkeitsmerkmale zusammengetragen. Sie stehen stellvertretend für viele und sollen zum Weiterdenken anregen:
Versprechen einhalten
Hier geht es um die Verlässlichkeit einer Person.
Ein Versprechen halten klingt leicht. Ist aber schwer. Sehr schwer sogar. Versprechen einhalten kann teuer werden.
Dazu muss ich mir nur vor Augen halten, wie einfach es ist, ein Versprechen zu brechen. Gerade gegenüber denen, die einem lieb und teuer sind, meint man, es sich leisten zu können. Dabei sollte ich gerade hier zu meinem Wort stehen!
Ein selbstkritischer Blick führt mir vor Augen, dass ich vor allem beim Thema Zeit meiner Familie gegenüber schuldig geworden bin. Wie oft kam ich deutlich später als angekündigt nach Hause. Irgendetwas Dringendes hatte erledigt werden müssen. Heute weiß ich, dass ich mich selbst und meine Lieben betrogen habe, weil ich in Wirklichkeit entweder unorganisiert oder undiszipliniert gewesen bin. Es hat mehr Gelegenheiten gegeben, als mir lieb ist, in denen ich einfach Rückgrat hätte zeigen müssen.
Mehr geben als nehmen
Ist Großzügigkeit ein Markenzeichen von mir oder gehöre ich zum Stamme „Nimm“? – Verfahre ich nach der Devise: „Nehmen ist seliger als Geben?“
Mich beeindrucken Menschen, die mir mit ihrer Großzügigkeit wohltun, und zwar ohne berechnende Hintergedanken. Dabei fällt mir auf, dass die meisten nicht in die Kategorie vermögend gehören. Es sind oft einfache Menschen, die anders „ticken“.
Ob es vielleicht daran liegt, dass diese Leute verstanden haben, dass mehr als genug für alle da ist?
Andere nicht ausnutzen oder benutzen, um selbst voranzukommen
Den Ellbogen ausfahren oder dem anderen die Faust hinzuhalten, ist seit Corona gesellschaftlich akzeptabel. Allerdings nur, um jemanden zu grüßen.
Ansonsten ist der Einsatz der Ellbogen oder der sprichwörtlichen Faust eher ein Kennzeichen von rücksichtslosen Zeitgenossen oder sozial unterdurchschnittlich begabten Personen, denen es einfach nicht gelingen will, durch ihre Leistung oder andere Fähigkeiten zu überzeugen.
Das private passt zum öffentlichen Image
Hier habe ich immer wieder beobachtet, wie Vertreter der Politik nicht dem entsprochen haben, was sie von anderen einforderten.
Ein schönes Beispiel sind die Gruppenbilder der Minister oder Staatschefs während der Pandemie gewesen. Sorgsam wurde auf Abstand geachtet, nur um dann, wenn der Fototermin vorbei war, zwanglos, ohne Maske und Abstand einander zu begegnen.
Glaubwürdigkeit fängt dort an, wo privat das gelebt wird, wofür man öffentlich steht. Für mich ist solches Verhalten das sichere Indiz eines guten Charakters.
Warum ist das wichtig?
Vielleicht fragen Sie sich: Warum sollte das, was ich oben geschrieben habe, in irgendeiner Weise wichtig sein?
Weil das Leiten von Menschen mit Vertrauen zu tun hat und weil ich beobachtet werde. Motivationsreden verhallen, wenn meine Worte nicht zu dem passen, wer ich bin und wofür ich stehe. Es gilt der orientalische Satz: „Ich höre deine Worte nicht, weil deine Taten so laut sind.“
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