Ein ungewöhnliches Ereignis
Da steht doch tatsächlich einer auf dem Marktplatz und ruft in die Menge, dass all jene zu ihm kommen sollen, die kein Geld haben, um sich etwas zu kaufen. Bei ihm kann jeder zugreifen, sich bedienen, ohne einen Cent dafür zu bezahlen.
Klingt ein bisschen abgefahren, ich weiß. Aber das ist tatsächlich so passiert.
Zugetragen hat sich der Vorfall irgendwann um die 720 bis 710 vor Christus in Jerusalem. Es wird vermutet, dass unmittelbar vorher die Stadt von assyrischen Truppen belagert worden war. Nachdem diese aber unverrichteter Dinge wieder ins heimatliche Mesopotamien abgezogen waren (also dorthin, wo neulich das schreckliche Erdbeben gewütet hat), kam es in Jerusalem zu enormen Versorgungsengpässen und in der Konsequenz zu einer dramatischen Verteuerung der Lebensmittel.
Jesaja, so heißt der Rufer auf dem Marktplatz, will seine Landsleute mit einer wichtigen Botschaft wachrütteln. Die Bibel zitiert den Mann mit den Worten:
Der Herr ruft: »Ihr habt Durst? Kommt her, hier gibt es Wasser! Auch wer kein Geld hat, kann kommen. Nehmt euch Brot und esst! Hierher! Hier gibt es Wein und Milch. Bedient euch, es kostet nichts!« Buch Jesaja, Kapitel 55, Vers 1 (Übersetzung Hoffnung für alle)
Dann legt Jesaja noch einen drauf. Im nächsten Vers lese ich: »Warum gebt ihr euer sauer verdientes Geld aus für Brot, das nichts taugt, und für Nahrung, die euch nicht sättigt? Hört doch auf damit und tut, was ich sage, dann habt ihr es gut! Ihr dürft köstliche Speisen genießen und euch daran satt essen.«
Mit seinem Angebot will Jesaja das Interesse an dem wecken, was er anzubieten hat. Und das ist weit mehr als ein Verkaufstisch voller Fladenbrote oder ein paar Krüge Rotwein. Jesaja ist ein stadtbekannter Prophet. Erst neulich während der Belagerung hat er von sich reden gemacht. Da hat er König Hiskia darin ermutigt, nicht den Worten des assyrischen Abgesandten zu glauben, sondern dem Gott Israels zu vertrauen. Mehr noch, er hat dem feindlichen Heer eine schmachvolle Niederlage vorhergesagt, die wenig später tatsächlich eingetroffen ist.
Worum geht es dem Propheten Jesaja?
Die kostenlos angebotenen Güter stehen im Gegensatz zu völlig überteuerter, mangelhafter Ware, die auf dem Marktplatz feilgeboten wird. Dabei geht es Jesaja in erster Linie um etwas anderes. Die Mondpreise sind nur der Anlass für seinen Auftritt.
Jesaja kritisiert das, was die Gesellschaft ihren Bürgern als Lebenssinn „verkauft“. Also das, wofür es sich zu leben lohnen soll.
Ich habe mich gefragt, was Jesaja heute kritisieren würde. Hängen geblieben bin ich bei dem, was in unserer Gesellschaft zählt: Arbeit, Vermögen, Status und Spiritualität.
Arbeit
Wenn Arbeit nicht mehr die Voraussetzung für ein gutes Leben schafft, sondern zum Selbstzweck mutiert, dann – davon bin ich überzeugt, – würde Jesaja kritische Worte finden. Also wenn ich arbeite, weil das mein Lebenssinn geworden ist.
Vermögen
In gleicher Weise wird Vermögen dann problematisch, wenn es aus der Rolle des Dieners in die des Herrn schlüpft. Wenn die Vermehrung und Sicherung von Besitztümern zum hauptsächlichen Sinn und Zweck des eigenen Trachtens werden.
Status
Auch mit dem Status ist das so eine Sache. Und zwar dann, wenn ich in der Gefahr stehe, mich nur um meine öffentliche Wahrnehmung zu drehen.
Spiritualität
Und Spiritualität? Die kann zum armseligen Versuch verkommen, Antworten dort zu suchen, wo es keine gibt: im Nachjagen von irgendwelchen religiösen Fantasievorstellungen.
Der Prophet Jesaja verwirft das, was „man“ im Allgemeinen tut als unzureichend. Sinn und Zweck sind in seinen Augen anderswo zu finden:
So wird ein Schuh draus
- Beispielsweise finde ich sie dort, wo die Arbeit ein Ausdruck meiner Berufung wird. Jesaja würde vielleicht sagen: Ich antworte dem Ruf meines Schöpfers, wenn ich produktiv bin und mit dem mir Anvertrauten verantwortlich umgehe.
- Sinn finde ich, wenn ich Vermögen erwirtschafte, um es segensreich für andere einzusetzen. Merke: Wer Liebe aussät, wird noch mehr Liebe ernten.
- Wenn ich meine Bedeutung nicht aus Pöstchen oder Titeln beziehe, sondern aus dem Wissen, dass ich vom Schöpfer dieser Welt gewollt und geliebt bin, dann kann ich die Rolle, die mir zugedacht wird, demütig einnehmen und selbstbewusst ausfüllen.
- In den Augen Jesajas bringt mich nicht religiöse Betriebsamkeit weiter, sondern der als Beziehung gelebte Glaube an Gott.
Was kann ich für die kommende Woche mitnehmen?
Schon zu Jesajas Zeit haben die Menschen viel Geld auf den Tisch gelegt. Oft genug war der Gegenwert erbärmlich. Das ist heute ähnlich. Das, wonach alle streben sollen, befriedigt nur vorübergehend. Die entscheidenden Fragen bleiben unbeantwortet:
- Wer bin ich?
- Woher komme ich und wohin gehe ich?
- Habe ich eine Aufgabe zu erfüllen?
Ich will mich heute erneut von Jesaja herausfordern lassen, und ich lade Sie ein, das ebenfalls zu tun. Ich werde einen kritischen Blick auf das werfen, was viel Kraft und Platz in meinem Leben in Anspruch nimmt. Wenn ich Dinge entdecke, die nicht satt machen (um Jesajas Worte zu gebrauchen), dann werde ich nach Wegen suchen, das zu ändern.
Ich möchte ein gutes Leben führen, in dem die Prioritäten weise gewählt sind. Am Ende meines Weges will ich einmal dankbar zurückschauen können auf ein erfülltes Leben.
Mit diesem Gedanken entlasse ich Sie in die neue Woche. Seien Sie gesegnet und machen Sie es gut. Wir bleiben im Kontakt.
Weiteren Lesestoff finden Sie hier: https://leitenundleben.de/blog/. Wochentags schreibe ich zu Themen rund um Führung, Verantwortung, Produktivität und persönliche Entwicklung. Sonntags veröffentliche ich eine kurze Andacht.
Bildquellen
- pexels-karolina-grabowska-5625108: Foto von Karolina Grabowska: https://www.pexels.com/de-de/foto/schild-einkaufen-geschaft-kaufen-5625108/