Meine Frau und ich haben gerade ein paar Tage Urlaub auf Rügen verbracht. Wir lieben die Insel mit ihren ausgedehnten Sandstränden.
Während unserer langen Strandwanderungen haben wir allerhand Leute beobachtet. Unter anderem sahen wir einige ausgesprochen mutige Menschen, die sich bei 13° Celsius mitten im Oktober ins Meer gewagt haben. Respekt! Mich hat schon der Anblick gefröstelt!
Was im Herbst den hart gesottenen oder gut isolierten Mitmenschen vorbehalten ist, genießen viele im Hochsommer: ein erfrischendes Bad in der Ostsee.
Aber ausgerechnet beim Schwimmen im Meer kann man auf unangenehme Weise überrascht werden. Darum, und was das mit meinem und Ihrem Alltag zu tun hat, soll es heute gehen.
Überraschung beim Schwimmen
Mancher Schwimmer hat es mit einem Phänomen zu tun bekommen, mit dem er oder sie nicht gerechnet haben: dem Brandungsrückstrom, der auch als Rippströmung oder Trecker bekannt ist. An der Ostsee entstehen diese Strömungen an Buhnen, Molen sowie durch Sandbänke vor der Küste.
Wer in eine solche Unterströmung hineingerät und aufs offene Meer hinausgezogen wird, merkt bald, dass die eigenen Kräfte nicht ausreichen, um gegen das schnell fließende Wasser anzuschwimmen.
Wussten Sie, dass circa 80 % der Badeunfälle an den Meeresküsten von solchen plötzlich auftretenden Unterströmungen verursacht werden?
Überraschungen im Leben
Das Beispiel der Rippströmung beschreibt treffend verschiedene Lebenssituationen, in die ich immer wieder hineingeraten bin.
Ich merkte, wie ich plötzlich von etwas erfasst und in eine Richtung gedrängt wurde, die mir unangenehm war. Obwohl ich mir größte Mühe gab, kam ich gegen diese unsichtbare Kraft nicht an.
Ich denke beispielsweise an eine Situation, in der mich die Begeisterung der Leute ansteckte, obwohl ich den Anlass ursprünglich eher kritisch gesehen hatte. Bei einer anderen Gelegenheit war ich einem negativen Gruppendruck erlegen. Ich hatte über eine Person munter mitgelästert. Dabei war meine ursprüngliche Einstellung eher positiv gewesen. In beiden Fällen war ich gegen meine feste Absicht von der allgemeinen Gruppenstimmung mitgerissen worden.
Ich möchte an dieser Stelle noch kurz zwei weitere, in meinen Augen besonders gefährliche soziale Rippströmungen erwähnen.
- Die Massenpanik. Denken Sie an das Unglück während der Love-Parade 2010 in Duisburg. Damals kamen 21 Menschen ums Leben. Mindestens 652 weitere wurden zum Teil schwer verletzt, als eine Massenpanik ausbrach.
- Großveranstaltungen mit manipulativen Rednern. Das wohl berühmteste Beispiel ist die Sportpalastrede von Joseph Goebbels, die er am 18. Februar 1943 hielt und in der er zum „totalen Krieg“ aufrief.
Woran erkenne ich Rippströmungen im Meer und im Alltagsleben?
Zunächst gilt es festzuhalten, dass Meeresströmungen natürliche Vorgänge sind. Wo immer Wellen sich am Ufer brechen, kommt es zu Unterströmen. Je nach Wellengang können sie kräftig ausfallen, sind aber nicht weiter besorgniserregend.
Rippströmungen hingegen treten vereinzelt auf und sind deutlich stärker. Sie lassen sich gut vom Strand aus beobachten. Beispielsweise erkennt man sie an Treibgut oder Seetang, der zügig aufs offene Meer hinausdriftet. Außerdem erscheint das Wasser ruhiger, da der Rückstrom die Brandung dämpft. Manchmal kann man eine Wasserrinne im Sand erkennen, die durch die Strömung entstanden ist.
In gleicher Weise entstehen überall dort, wo Menschen miteinander zu tun haben Unterströmungen. Rippströmungen hingegen treten oft infolge von gruppendynamischen Prozessen auf. Sie können emotionaler Natur sein oder körperlich wie beispielsweise bei einer Massenpanik. Manchmal werden sie bewusst gesteuert, häufig ergeben sie sich von allein. In der Regel spürt man eine solche ungewöhnlich starke Strömung und kann frühzeitig reagieren.
Mich hat das zu der Frage veranlasst, was ich das nächste Mal tun kann, wenn ich mich in einer vergleichbaren Situation wiederfinden sollte. Sachkundigen Rat habe ich bei den Rettungsschwimmern des DLRG gefunden.
Wie verhalte ich mich angemessen?
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) empfiehlt: „Gerät man in diese Strömung, sollte man Ruhe bewahren und versuchen, quer zum Ufer aus dem Hauptstrom zu schwimmen.“
Mit anderen Worten: Werde ich von einer Unterströmung erfasst und weit aufs offene Meer hinausgetrieben, gilt es Ruhe zu bewahren und die Kräfte zu schonen. Das gelingt am besten, wenn ich mich zunächst treiben lasse. Bemerke ich ein Nachlassen der Strömungsgeschwindigkeit des Wassers, kann ich parallel zum Ufer schwimmen und mich so aus der Gefahrenzone herausarbeiten. Habe ich genügend Abstand zur Rippströmung, kann ich ohne besondere Anstrengung aufs rettende Ufer zuschwimmen.
Genau das gleiche Verhalten funktioniert in zwischenmenschlich herausfordernden Situationen.
Wenn mir die Kraft fehlt oder ich aus anderen Gründen mich nicht gegen die anderen stemmen will oder kann, dann hilft es, wenn ich mich zunächst ein Stück weit treiben lasse. Sobald die passende Gelegenheit kommt, versuche ich der menschlichen Rippströmung zu entkommen, indem ich quer zum Strand schwimme, sprich, mich aus der Situation herausnehme. Das gilt für den Fall der Massenpanik ebenso wie für das gemeinschaftliche Ablästern über eine abwesende Person oder Veranstaltungen, bei denen ich merke, dass versucht wird, manipulativ auf mich einzuwirken.
Diese Strategie ist in der Regel effektiver als die direkte Konfrontation. Außerdem vermeide ich mir wichtige Beziehungen unnötig zu belasten.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Rippströmungen gemacht?
Wie haben Sie sich verhalten? War es für Sie schwer, sie aus dem Geschehen zu lösen? Mich interessieren Ihre Erfahrungen mit solchen Situationen und wie Sie damit umgegangen sind. Schreiben Sie mir. Nutzen Sie dafür bitte das Kontaktformular.
Bildquellen
- Rettungsring-1463427_1920: Bild von Dimitri Wittmann auf Pixabay