Was für ein Bild entsteht in Ihrem Kopf, wenn irgendwer von einem „Chef“ oder einer „Chefin“ spricht? Garantiert kein einheitliches!
Im Alltag begegnen mir die unterschiedlichsten Typen. Ich muss an den Typ „Horsche mal“ (das ist mittelhessisch und bedeutet so viel wie „Hör mal zu, ich will dir das jetzt erklären …“) denken, der bereit ist, mit seinem gesamten Wissen und großer Tatkraft ein Problem höchstpersönlich bei den Hörnern zu packen. Oder den sachlichen, scheinbar kühlen Macher.
Immer wieder habe ich mich gefragt, ob es unter den vielen Chefs dieser Welt verbindende Gemeinsamkeiten oder Merkmale gibt.
Vor einiger Zeit bin ich auf Christian Muntean gestoßen, dessen Beobachtungen und Systematik mein Interesse geweckt haben.
Um es gleich vorneweg zu sagen: Muntean bietet keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse. Vielmehr hilft mir seine Sichtweise, manches besser einzuordnen.
Wenn es um Leitung geht, erkennt Christian Muntean aus dem fernen Anchorage in Alaska vier Grundtypen: Das Genie, den Manager, den strategischen Manager und den Visionär.
Ich finde Munteans Modell schlüssig und möchte es deshalb hier kurz vorstellen und aus meiner Sicht kommentieren.
Das Genie
Zunächst beschreibt er den Typ „Meistermacher“. Gemeint sind jene seltenen Führungskräfte, die aufgrund ihres überragenden Ideenreichtums, Fachwissens und ihrer Entschlossenheit Teams und Organisationen voranbringen.
Das Unternehmen dreht sich wie die Speichen eines Rads um die Nabe. Alle und jeder arbeiten dem großen Experten zu.
Genies finden sich überall. Beispielsweise in Nobelrestaurants, wo sie als Starköche gefeiert werden. Ich kenne einen Top-Ingenieur, dem es mit seinen teils brillanten Ideen immer wieder gelungen ist, die Firma durch entscheidende technische Impulse nach vorne zu bringen.
Meistermacher greifen zum Lötkolben, zaubern mit der Hilfe von Excel-Tabellen, dem Kochlöffel oder was auch immer das Werkzeug ihrer Wahl ist und „regeln“ die Dinge. Ich habe Meistermacher dabei beobachtet, wie sie sich auf schwierigste Aufgaben stürzten und diese unter der Anerkennung aller Anwesenden mit Bravour lösten.
Leider hat dieses System einen entscheidenden Nachteil. Fällt das Genie aus, ruht die Arbeit oder aber die Qualität sinkt drastisch.
Der Manager
Führungskräfte von diesem Kaliber sind aufgabenorientiert. Sie befassen sich mit dem Tagesgeschäft. Das große Bild oder das zu erreichende Ziel spielen in ihrer Arbeit eine nachgeordnete Rolle. Stattdessen sehen sie, dass es konkrete Aufgaben zu erledigen gibt. „Schließlich muss der Laden laufen“, ist ein beliebtes Argument. Erfolge werden vor Ort in der konkreten Führungssituation erzielt.
Manager wissen, was von ihnen erwartet wird. Sie sind bereit und in der Lage zu liefern. Ihre Fachkompetenz ist beeindruckend. Darauf sind sie stolz. Was dieser Typ Manager nicht so sehr mag und deshalb auch nicht fördert, ist eigenständige Problemlösungskompetenz. Ob das vielleicht auch daran liegt, dass es ein gutes Gefühl ist, wenn „die anderen“, also Kollegen, vielleicht sogar das Unternehmen, auf sie angewiesen sind?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass – solange der Manager in Rufweite ist – alles wie am Schnürchen läuft. Probleme treten erst dann auf, wenn der Chef nicht zu greifen ist. Ich nenne das den „Papa-Faktor“.
Der strategische Manager
Christian Muntean sieht im strategischen Manager eine Führungskraft, die weniger das Team oder die konkrete Aufgabe vor Augen hat als das zu erreichende Ziel.
Für den strategischen Manager treten taktische Überlegungen zugunsten grundsätzlicher Erwägungen in den Hintergrund. Das große Bild wird wichtig. Strategische Manager führen meistens mehrere Teams oder Geschäftsbereiche und können sich schon deshalb nicht oder nur begrenzt ins Tagesgeschäft einmischen. Demzufolge haben sie hauptsächlich mit anderen Führungskräften zu tun.
Von strategischen Managern wird verlangt, dass sie politische Zusammenhänge oder andere grundlegende Faktoren in ihre Abwägungen einbeziehen. Man kann sagen, dass diese Führungskräfte die Voraussetzungen für den Unternehmenserfolg schaffen. Mit ihrer übergeordneten Perspektive können sie eine Art Hebelwirkung entfalten.
Aber sie müssen sich vorsehen, denn es gibt ernst zu nehmende Probleme: beispielsweise die Ferne zum Tagesgeschäft und damit der Realität oder das Phänomen der Echokammer. – Bei Letzterem stehen strategische Manager in der Gefahr, nur noch selektiv zu hören. Als Informationsfilter ist die Auffassung der Untergebenen aktiv. Die wählen aus, was der strategische Manager hört (oder hören sollte).
Der Visionär
Nach meinem Dafürhalten gibt es zwei Arten von Visionär.
Der Visionär vom Typ 1 führt das Unternehmen oder wichtige Teilbereiche. Für ihn ist es von größter Bedeutung, sich auf den Erfolg der Geschäftsidee zu konzentrieren.
Während für Manager und strategische Manager die Wörtchen „was“ und „wie“ von zentraler Bedeutung sind, liegt dem Visionär das Wort „warum“ besonders nahe am Herzen.
Demzufolge sind für Typ 1 die gelebte Kultur, die Klarheit der Unternehmensvision, die Befähigung der Führungskräfte und der Fortschritt des Gesamtunternehmens in die gewünschte Richtung wichtig.
Typ 2 Visionäre sind selten in etablierten Unternehmen zu finden. Es sind in der Regel junge, dynamische und vor allem hochmotivierte Menschen. Strukturen und Prozesse, also genau das, was einem modernen Unternehmen Effizienz und Schlagkraft verleiht, schnürt ihnen den Atem ab. Sie wählen lieber das potenziell chaotische, an Selbstausbeutung grenzende Arbeitsumfeld (wie man es beispielsweise in der Gründerszene antrifft), als dass sie sich darin verbrauchen, gegen die internen Beharrungskräfte und das Regelwerk eines Unternehmens anzukämpfen. Typ 2 Visionäre empfinden Regeln, Prozesse und Hierarchien als einengend und beargwöhnen sie deshalb.
Ich finde es tragisch, dass es selten gelingt, dynamische, kreative Köpfe in angemessener Weise in einem Unternehmen zu integrieren. Umso mehr bin ich davon überzeugt, dass gerade hier „jede Menge Land eingenommen“ werden kann.
Noch ein Hinweis
Neben Artikeln über Führungsthemen, persönliche Entwicklung und Produktivität veröffentliche ich sonntags Gedanken über Texte aus der Bibel. Schauen Sie sich doch einfach einmal um.
Bildquellen
- man-6027281_1920_Fotor: Bild von Michael Schüller auf Pixabay