Derzeit nimmt eine faszinierende Bewegung in aller Stille Fahrt auf. Sie findet ihren äußeren Ausdruck in der distanzierten Einstellung zur Arbeit. Fachleute sprechen von einem Abschied auf leisen Sohlen. Man sagt, dass das Phänomen vor ein paar Jahren mit den damals Dreißigjährigen begonnen hat. Inzwischen erfasst es Menschen, die in der Lebensmitte stehen oder sich in den letzten Jahren ihrer Berufstätigkeit befinden.
Ein neuer Trend?
Nicht neu ist, dass sich Arbeitnehmer wegen schlechter Bezahlung anders orientieren oder weil sie mit ihrem Vorgesetzten nicht zurechtkommen. Neu hingegen ist, dass die Sinnhaftigkeit des beruflichen Wirkens an Bedeutung gewinnt. „Purpose“ ist in aller Munde.
New York Times Journalist Oliver Whang zitiert einen Mittdreißiger mit den Worten: „Life is too short to be exhausted for most of it.“ – Das Leben ist zu kurz, um die meiste Zeit davon erschöpft zu sein.
Der Trend trägt einen Namen
Der neue Trend trägt den Namen Quiet Quitting, das stille Kündigen. Er scheint hochinfektiös zu sein, denn auch ältere Arbeitnehmer lassen sich anstecken. Wobei in dieser Altersgruppe andere Gründe vorherrschen. – In der Regel stellt sich Resignation infolge der schmerzhaften Erkenntnis ein, dass es keine Perspektive gibt. Jedenfalls kein Weiterkommen in der Karriere.
Und so sieht der Abschied auf leisen Sohlen im Alltag aus: Die Mitarbeitenden begnügen sich mit einem Minimum an Arbeitseinsatz. Ein Tiktokker beschreibt seine Einstellung wie folgt:
‘Not outright quitting your job but… quitting the idea of going above and beyond’ while doing it. – Nicht direkt den Job zu kündigen, aber … die Idee aufgeben, über sich hinauszuwachsen, während man es tut.
In einem Artikel für die September-Ausgabe 2022 der Harvard Business Review schreiben die beiden Professoren Anthony C. Klotz und Mark C. Bolino:
“Quiet quitters continue to fulfill their primary responsibilities, but they’re less willing to engage in activities known as citizenship behaviors: no more staying late, showing up early, or attending non-mandatory meetings.” – Die stillen Aussteiger erfüllen weiterhin ihre primären Pflichten, aber sie sind weniger bereit, sich auf Aktivitäten einzulassen, die als bürgerschaftliches Verhalten bekannt sind: Sie bleiben nicht mehr länger als notwendig im Büro, erscheinen morgens später oder nehmen nur an obligatorischen Sitzungen teil.
Ist das nicht traurig? Die innere Kündigung passiert lautlos. Angestellte, die ohne jegliches Engagement im Betrieb arbeiten, sind die Folge. Man tut das, was man muss. Aber keinen Deut mehr.
Spricht man das Verhalten an, kann man gelegentlich hören, dass man auf der Arbeit ist und nicht auf der Flucht.
Für mich stellen sich kritische Fragen, und zwar in beide Richtungen: Arbeitnehmer wie Arbeitgeber.
Ich kleines Zahnrädchen im großen Getriebe
Was für ein überholtes Menschenbild! Der Mensch als kleiner Bestandteil eines gigantischen Räderwerks. Man soll funktionieren. Punkt. Produktivität wird definiert als das verlässliche Erledigen endlos wiederkehrender Vorgänge oder Aufgabenstellungen. Oft handelt es sich dabei um Tätigkeiten, denen beim besten Willen nichts Sinnstiftendes abzugewinnen ist.
Ist Quiet Quitting unter solchen Umständen nicht nachvollziehbar? Ich meine schon. Die Kritik von Arianna Huffington, vormals die Mitbegründerin der Huffington Post, die Quiet Quitting als einen ersten Schritt in Richtung Life Quitting sieht, teile ich nur bedingt.
Hinter Quiet Quitting verbirgt sich nach meinem Dafürhalten der unverhohlene Wunsch, in der eigenen Arbeit Erfüllung zu finden. Menschen möchten erleben, dass sie ernst genommen werden. Sie wollen Selbstwirksamkeit erleben. Ihr Beitrag soll von Bedeutung sein. Und sie erwarten eine angemessene Bezahlung.
Wie sehe ich Mitarbeiter?
Ich verstehe nicht, weshalb Führungskräfte diesen Trend entweder nicht erkennen oder sich ihm nicht entgegenstellen wollen. Dabei wäre es einfach, ihm zu begegnen.
Ein effektives Gegengift gegen das Quiet Quitting, wenn ich das einmal so drastisch formulieren darf, besteht in der echten Zuwendung. Nicht berechnete Empathie, die dann zum Einsatz kommt, wenn’s passt und auch kein kumpelhaftes „hey, schön, dich zu sehen“. Es geht darum, Menschen zu sehen und sie spüren zu lassen, dass man sie als Persönlichkeiten wahrnimmt und ihre Arbeit schätzt.
Als sehr hilfreich hat sich erwiesen, in ausgewählten Fällen offen über eigene Fehler zu sprechen. Klar, das macht verletzlich. Aber genau diese Offenheit signalisiert dem Gegenüber Verständnis und Zugewandtheit seitens des Vorgesetztens.
Vielleicht ist es hilfreich, wenn man sich der eigenen Haltung bewusst wird und sie ggf. korrigiert. Wenn man sich von der Vorstellung trennt, dass Mitarbeiter lediglich Mittel zum Zweck sind und keine Sprossen auf meiner Karriereleiter.
Soweit für heute. Zum Schluss möchte ich auf zwei Artikel aufmerksam machen, die sich ebenfalls mit dem Themenfeld Unzufriedenheit am Arbeitsplatz befassen:
Bildquellen
- Und Tschüss!: Foto von Gustavo Fring: https://www.pexels.com/de-de/foto/geschaftsmann-mann-ferien-flughafen-4173238/