Bei dir ist Vergebung, dass man dich fürchte

Die lange Reihe der Sonntage nach dem Dreieinigkeitsfest (Trinitatis) neigt sich ihrem Ende zu. Heute feiern evangelische Christen den Reformationstag. Nur noch ein Monat, dann beginnt mit der Adventszeit das neue Kirchenjahr. 

Ich möchte an dieser Stelle nicht auf den Reformationstag eingehen, sondern auf einen Satz aus dem Liederbuch der Bibel, der mir heute begegnet. 

Nachdem es vergangenen Sonntag ums Überwinden des Bösen durch das Gute gegangen ist, steht heute ein Gedanke aus Psalm 130 im Mittelpunkt: „Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte“, schreibt ein unbekannter Beter in Psalm 130,4.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie einen solchen Satz lesen: Ich finde die Zusammenstellung der beiden Satzteile ungewöhnlich, um nicht zu sagen befremdlich. Auf den ersten Blick scheinen sie nicht zueinander zu passen: Vergebung und sich fürchten. 

Der Zusammenhang

Meistens hilft für ein besseres Verständnis ein Blick in den Zusammenhang des Bibelworts. Und deshalb will ich das auch an dieser Stelle kurz tun. 

Psalm 130 ist in der Bibel als der sechste Bußpsalm bekannt. Es ist ein kurzes Lied mit einer klaren Botschaft: Gott, mir geht’s dreckig. Ich habe mich aus eigenem Verschulden in eine schwierige Lage manövriert. Jetzt bin ich am Boden zerstört und habe keine Kraft, mich wieder aufzurichten. Ich hoffe auf das Erbarmen des Allmächtigen, denn allein komme ich mit dieser Schwierigkeit nicht klar. 

Inspiration für Johann Sebastian Bach

Mit dieser kraftvollen Botschaft können viele etwas anfangen. Johann Sebastian Bach hat sie zur Kantate „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ (BWV 131) inspiriert. Diesen Klassiker der Kirchenmusik kann man bei YouTube genießen. Unter der Leitung von Jos van Veldhoven hat die Nederlandse Bachvereniging am 16. Mai 2015 in der Oostkerk von Middelburg eine wunderbare Aufnahme gemacht. 

Zum Fürchten?

Aber zurück zum Psalm und den etwas eigenartigen zwei Satzhälften: „Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte“. Das Wort „fürchten“ irritiert mich. Also ziehe ich andere Übersetzungen hinzu. 

In der modernen Hoffnung für alle Übersetzung steht: „Doch bei dir finden wir Vergebung. Ja, du vergibst, damit wir dir in Ehrfurcht begegnen.“ Die NeÜ in der Fassung von 2020 überträgt: „Doch bei dir ist Vergebung, damit man Ehrfurcht vor dir hat.“ Undin der schweizerischen Neue Genfer Übersetzung lese ich: „Doch bei dir gibt es Vergebung, damit die Menschen dir in Ehrfurcht begegnen.“

Mir fällt auf, dass traditionelle Übersetzungen, wie die Luther-Bibel oder die Elberfelder Bibel den Begriff fürchten verwenden, während moderne Übersetzungen ein anderes Wort wählen. Sie sprechen von einer bestimmten Art der Furcht, nämlich die der Ehrfurcht. 

Vermutlich steckt folgender Gedankengang dahinter: Vergebung ist keine kleine Angelegenheit. Das weiß jeder, der einmal darum hat bitten müssen. Ehrfurcht ist die angemessene Haltung einem Höhergestellten gegenüber, der bereit ist, sich mir in meiner selbstverschuldeten Lage zuzuwenden und die versöhnende, helfende Hand auszustrecken. 

Wie stelle ich mich zur Aussage?

Zunächst einmal spricht mich der erste Halbsatz an: Bei dir ist Vergebung. Damit kann ich etwas anfangen. Dass ich bei Gott Vergebung empfangen kann, ist ein Kernanliegen des Evangeliums. Auch unter Ehrfurcht kann ich mir etwas vorstellen. 

Vielleicht wird ein Schuh daraus, wenn ich mir vor Augen halte, was es für eine innere Größe voraussetzt, wenn jemand bereit ist, zu Unrecht erlebtes Leid oder Schuld freimütig zu vergeben. Diese Größe fordert mir Respekt ab. Mehr noch, ich empfinde Ehrfurcht vor der Haltung meines Gegenübers.

Nun wendet sich der Psalm an Gott. Übertrage ich das Ansinnen des Psalmbeters auf mich, bleibt die Frage, ob ich bereit bin, dieses Gebet zu meinem eigenen zu machen. Das könnte dann so klingen:  Allmächtiger Gott im Himmel, durch Jesus Christus kann ich bei dir Vergebung erhalten. Ich nehme das in tiefer Ehrfurcht und Dankbarkeit an. – Ich finde, dieses Gebet trifft das reformatorische Anliegen sehr gut und bringt es auf den Punkt.

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