Dr. Henry Cloud bringt es auf den Punkt: „Manches Ende muss sein, damit Neues entstehen kann.“[1] Um besser zu verstehen, was er meint, hilft mir ein Blick in die Natur: Blätter welken im Herbst und fallen zu Boden, um Knospen Platz zu schaffen. So bereiten sich Bäume auf die nächste Vegetationsphase nach dem Winter vor. Wer saftige Äpfel ernten will, muss Obstbäume zurückschneiden. Ein Rosenstrauch blüht dann besonders intensiv, wenn man ihn zuvor von überzähligen Trieben befreit hat.
Nicht weit von unserem Haus stehen einige Apfelbäume auf freiem Feld. Sie wurden schon Jahre nicht mehr zurückgeschnitten. Entsprechend groß sind sie inzwischen gewachsen. Von einem dieser Bäume brach unlängst ein großer Ast ab. Jetzt klafft dort, wo früher der Ast ansetzte, eine große Wunde im Stamm.
Diese Gefahr besteht im übertragenen Sinn sowohl im privaten Leben wie auch in Unternehmen: Mit der Zeit sammelt sich zu viel an. Ich verliere meinen Fokus und verzettele mich. Anstatt aufs Wesentliche achten, verteile ich meine Aufmerksamkeit auf zu viele Baustellen.
Die Folge dessen ist, dass ich mich unfreiwillig auf Mittelmaß reduziere.
Was kann ich dagegen tun?
Mit Bedacht schneiden
Um das Potential freizusetzen, was in einem Obstbaum bzw. Rosenstrauch schlummert, muss ich überzählige Triebe abschneiden. Für Pflanzen ist das ein notwendiger, wenn auch ausgesprochen schmerzhafter Prozess. Trotzdem ist Vorsicht geboten.
Wer immer die Gartenschere in der Hand führt, muss wissen, was er oder sie tut. Außerdem sollte die Person sich zuvor ein klares Bild dessen machen, was später einmal werden soll.
Habe ich ein klares Bild dessen, was ein gelungenes Leben ausmacht?
Auf die persönliche Lebensführung bezogen, stellt sich die Frage: Habe ich ein klares Bild dessen, was ein gelungenes Leben ausmacht? Die Antwort zeichnet ein deutliches Bild der potentiellen Zukunft. Ausgehend von diesem gedanklichen Bild stelle ich weitere Überlegungen an:
- Hilft das, was mein Leben derzeit ausmacht, mein Ziel zu erreichen? Wie bringt es mich weiter? Welcher Ast birgt das größte Potential in sich, um später einmal die gewünschten Früchte zu tragen?
- Wenn ich mir nicht sicher bin, könnte eine weitere Frage lauten: Was kann ich unternehmen, um in einem bestimmten Lebensbereich doch noch Erfolg zu ermöglichen? Was muss ich investieren? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Dinge dann zum Guten wenden?
- Handelt es sich um Dinge, die mein Leben einfach nur vollstopfen, aber nicht wirklich zielführend sind?
Meine Erkenntnisse umsetzen
Haben Sie befriedigende Antworten auf die oben aufgeführten Fragen, folgt der schmerzhafte Teil: das Zurückschneiden, sprich, bewusste Abschneiden oder Beenden von Dingen im eigenen Leben – mit dem Ziel, Raum für Wachstum zu schaffen. Zweifellos ist dieser Prozess schmerzhaft, denn ihm fallen unter Umständen lieb gewordene Tätigkeiten und Dinge zum Opfer. Deshalb ist es wichtig, sich immer wieder das Warum vor Augen zu führen: Es geht nicht ums Abschneiden um des Abschneidens willen.
Vielmehr geht es um den Fokus, die Konzentration aufs Wesentliche.
Aus der eigenen Erfahrung empfehle ich Ihnen: Tun Sie das bewusst und reden Sie darüber. Durch Ihre öffentliche Transparenz nehmen Sie sich selbst in die Pflicht und ermutigen ganz nebenbei andere, Ihrem Vorbild zu folgen.
Frage: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Abschneiden gemacht?
[1] Das Buch Necessary Endings des klinischen Psychologen Dr. Henry Cloud ist leider nur in englischer Sprache erhältlich. Sollten Sie trotzdem Interesse haben, verlinke ich hier zum Buch.
Bildquellen
- work-5275153_1920: Bild von Matteo Orlandi auf Pixabay